
© Progress Film-Verleih/Eberhard Klagemann
PNN-Filmserie: Die Stunde Null
Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 4: Die Mörder sind unter uns
Stand:
Potsdam, 1946. Die Stadt liegt in Trümmern, so wie der Rest Deutschlands. Goebbels’ auf Propaganda ausgerichtete Filmindustrie ist zerschlagen, die Babelsberger Ufa-Studios sind von der Sowjetischen Militäradministration besetzt.
Es ist der 18. März, als ein junger Regisseur in den ehemals privaten Althoff-Studios in Alt Nowawes erste Einstellungen für einen neuen Film dreht. Wolfgang Staudte heißt er, Hildegard Knef ist seine damals weitgehend unbekannte Hauptdarstellerin. „Die Mörder sind unter uns“ soll das Werk heißen, das Geschichte schreiben wird. Denn es ist der erste deutsche Film der Nachkriegszeit.
Staudte erzählt darin die Geschichte des verbitterten Kriegsheimkehrers Hans Mertens, gespielt von Ernst Wilhelm Borchert, der sich im zerstörten Berlin eine Wohnung mit der ehemaligen KZ-Insassin Susanne Wallner (Knef) teilt. Unversehens begegnet Mertens seinem früheren Hauptmann Ferdinand Brückner (Arno Paulsen), der an der Ostfront am Heiligabend 1942 über 100 polnische Frauen, Männer und Kinder erschießen ließ. Mertens will Brückner, der schon wieder eine gut gehende Fabrik betreibt, zur Verantwortung ziehen.
Schon vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs trägt sich Staudte mit der Idee für diesen Film. Er schreibt ein Exposé mit dem Titel „Der Mann, den ich töten werde“. Auslöser ist ein Erlebnis des Regisseurs mit dem Inhaber einer Apotheke in der Berliner Friedrichstraße. Der Mann, zugleich SS-Obersturmbannführer, „hat mich einmal mit der Pistole bedroht, und zwar aus politischen Gründen“, schreibt Staudte später. „Er hat dann nicht abgedrückt. Ich sagte mir aber: Was mache ich mit dem Burschen in einem halben Jahr, wenn das hier vorbei ist?“ Nach Kriegsende macht sich Staudte sofort ans Drehbuch und geht damit hausieren. Da er im britischen Sektor wohnt, trägt er den Briten zuerst sein Anliegen vor, einen Film drehen zu wollen. Doch die Briten haben dafür kein Ohr und schicken ihn zu den Amerikanern.
Dort empfängt ihn der Leiter der „Filmsection of the Information Service Branch“, ein schneidiger junger Mann in gutsitzender Uniform. Es ist der Schauspieler Peter van Eyck, der später in Hollywood zumeist in der Rolle des blonden Nazis Karriere machen sollte. „Er guckte mich von oben herab an und sagte: Wie war der Name? Staudte? In den nächsten fünf Jahren wird in diesem Land überhaupt kein Film gedreht, außer von uns.“
Dass es anders kommt, hat Staudte den Filmoffizieren der Roten Armee zu verdanken. „Ich erinnere mich noch genau, eines nachts wurde ich zu dem Kulturoffizier in die Jägerstraße bestellt, es gab keinen Strom und wir verhandelten bei Kerzenlicht. Er gratulierte mir und kannte jede Stelle des Drehbuchs auswendig“, sagt Staudte später.
Der Film ist im Progress-Verleih, die DVD bei Icestorm erschienen.
Die Zustimmung der Russen kommt nicht von ungefähr. Bereits Ende Oktober 1945 erteilt Josef Stalin persönlich dem Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungsstreitkräfte, General Shukow, „prinzipiell“ die Erlaubnis, eine deutsch-russische Filmproduktionsfirma ins Leben zu rufen. Ein „Filmaktiv“, bestehend aus deutschen Filmschaffenden, übernimmt die Vorbereitungen zur Gründung der Deutschen Film AG, kurz DEFA. Zu den Mitgliedern des Filmaktivs, allesamt Mitglieder der KPD, zählen die Schauspieler Hans Klering und Adolf Fischer, die Szenenbildner Carl Haacker und Willy Schiller, der Beleuchter Alfred Lindemann und der Regisseur Kurt Maetzig. Schon am 15. Januar 1946 beginnen die Dreharbeiten für die erste deutsche Nachkriegswochenschau. Maetzig stehen dafür zehn Mitarbeiter, eine Kamera und ein Dreiradmobil mit Holzkohlenantrieb zur Verfügung. Parallel wird ein Programm zur Produktion von elf Spielfilmen erarbeitet.
Während die DEFA-Gründung noch auf sich warten lässt, wird ihr erster Spielfilm schon gedreht. Am 4. Mai 1946 fällt in Berlin die erste Klappe für die Außenaufnahmen am Stettiner Bahnhof. Einst der wichtigste Bahnhof der Hauptstadt, von dem aus im Sommer die Reisenden Richtung Ostsee und Skandinavien rollten, ist das Bahnhofsgebäude jetzt nur noch eine Ruine. Die Schwierigkeiten bei der Produktion waren enorm. „Wir verbrachten einen Großteil der Arbeitszeit im Lattengefecht gegen interessiert herbeieilende Rattenhorden oder im Kampf gegen röchelnde Scheinwerfer, zusammenbrechende Kameras, versagende Filmmikrofone, reißende Filmperforationen. Von keinem Verleiher getrieben, von keinem Reporter aufgehalten, von keinem Geldgefasel entnervt und Imagegequassel verblödet, warteten wir geduldig, beglückt, den ersten Film drehen zu dürfen“, wird Hildegard Knef in ihrer Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ später schreiben. Staudte setzt die zerstörte Stadt eindrucksvoll in Szene, zeigt die Beklemmung der Trümmerwüste in langen Totalen, das gekonnte Spiel mit Licht und Schatten, entlehnt bei den großen Expressionisten Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau. Der Journalist Carl Riess schreibt über die Dreharbeiten: „Trümmer, die einen Kilometer weit sichtbar sind. Noch liegen die zerschossenen Maschinengewehre herum, die Stahlhelme, die zerbombten Panzer ... Eine zertrümmerte Welt, ausgeleuchtet nach allen Regeln der Filmtechnik ...“
Die Kriegsauswirkungen bekommt das Filmteam tagtäglich am eigenen Leibe zu spüren. Es herrscht nicht nur Mangel an Filmmaterial oder Glühbirnen, sondern auch an ausreichender Verpflegung, sodass die Crew zeitweise Hunger leidet. Zudem wird Kameramann Friedl Behn-Grund von höllischen Schmerzen geplagt. Am letzten Kriegstag noch hatte ihn eine Granate ein Bein gekostet, er muss mit einer notdürftigen Prothese durch die Trümmerlandschaft humpeln. Staudte zeigt sich von den Widrigkeiten unbeeindruckt. Als „sanft und behutsam“ am Set schildert ihn Knef, improvisierend und doch professionell.
Inzwischen ist auch die neue Filmgesellschaft gegründet. Am 17. Mai 1946 gibt in eben jenen Althoff-Studios in Alt Nowawes, in denen noch Wochen zuvor Staudte gedreht hat,Oberst Sergej Tulpanow von der Sowjetischen Militäradministration vor rund 300 geladenen Gästen die künftige politische Marschrichtung vor: „Die Filmgesellschaft DEFA hat wichtige Aufgaben zu lösen. Die größte von ihnen ist der Kampf für den demokratischen Aufbau Deutschlands ... Der Film als Massenkunst muss eine scharfe und mächtige Waffe gegen die Reaktion ... werden.“
„Die Mörder sind unter uns“ trifft genau diese Vorgabe. Fünf Monate – von März bis Juli – dreht Staudte in Babelsberg und in Berlin. Die Premiere soll in der damaligen Staatsoper, dem heutigen Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße, stattfinden. Als Termin wird der 15. Oktober 1946 angesetzt – ein symbolträchtiges Datum. An diesem Tag wird bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen das Urteil für die Rädelsführer des Naziregimes verkündet. Kurz vor der Premiere kommt es zum Eklat. Hauptdarsteller Borchert hat in einem Fragebogen der Amerikaner seine NSDAP-Mitgliedschaft verschwiegen. Der Name des Darstellers wird daraufhin von den Filmplakaten getilgt. Es stellt sich jedoch schnell heraus, dass Borchert nur ein Mitläufer war. Am Ende darf er der Premiere doch beiwohnen.
Auf Druck der sowjetischen Kulturoffiziere muss Staudte den Schluss seines Films ändern. Ursprünglich sollte Mertens seinen ehemaligen Hauptmann am Ende erschießen. Der russische Major Alexander Dymschitz jedoch, erklärt der Regisseur später, „lehnte diese Art von Selbstjustiz ab und malte mir die Folgen aus, die aus der Wirkung des Films entstehen könnten, wenn jeder hinging und jeden erschoss, so selbstverständlich dieser Wunsch auch sein mochte. Diese Menschen müssten ordentlichen Gerichten zur Aburteilung übergeben werden“. Staudte lässt sich überzeugen.
Der Film wird ein großer Erfolg und vor allem für Hildegard Knef der Auftakt für eine beeindruckende Karriere. Die „Berliner Zeitung“ urteilte am 17. Oktober 1946: „Hildegard Knefs herb-verhaltene Erscheinung war vielleicht die beste Wahl, die Staudte für diese Rolle treffen konnte. Ihr Spiel war eine schöne Mischung aus zupackender Sachlichkeit und einer bemühungsvollen Liebe.“ Der „Tagesspiegel“ vom 16. Oktober geht mit dem Film härter ins Gericht. Es sei Staudte „nur zum Teil“ gelungen, die beabsichtigte Wirkung zu erzielen, schreibt Kritiker Friedrich Luft. Die Handlung „flattert“, die Schauspieler seien „überlangsam geführt“ und bewegten sich „in einer Getragenheit, als wandelten sie auf dem Grunde des Meeres“. Dennoch sei der Film als „erstes Tasten nach einem wichtigen Thema zu begrüßen“. Die „Neue Zeit“ schließlich fasst die weltweite Resonanz auf „Die Mörder sind unter uns“ vielleicht am besten zusammen: „Aber eine und für uns die wichtigste Frage beantwortet der Film mit schöner Entschiedenheit: Dass die deutsche Filmkunst mit vielversprechender Besessenheit und hohem künstlerischen Ernst berechtigt und in der Lage ist, ihre friedliche Position zu beziehen, zu behaupten und auszubauen.“
Bis Ende der 40er Jahre haben fünf Millionen Deutsche „Die Mörder sind unter uns“ gesehen. Für die DEFA ist es der Beginn einer langen Tradition von Filmen mit antifaschistischen Themen. Doch es soll noch vier Jahre dauern, bis die neue Filmgesellschaft das alte Ufa-Gelände in Besitz nehmen kann. Staudte bleibt in den ersten Jahren nach dem Krieg der DEFA treu und dreht eine Reihe weiterer Klassiker, darunter „Die Geschichte vom kleinen Muck“ und „Der Untertan“ nach dem Roman von Heinrich Mann.
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