Landeshauptstadt: Die Verurteilten des Miltärtribunals
In der Gedenkstätte Lindenstraße werden erstmals Forschungsergebnisse über die Verurteilten des Sowjetischen Militärtribunals zwischen 1945 und 1952 vorgestellt. Jeder Zehnte kam aus Potsdam
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Unter den Verurteilten waren alle Altersgruppen vertreten, mehr als 86 Prozent waren Männer, jeder zehnte brandenburgische Verurteilte kam aus Potsdam. Angestellte waren im Vergleich zur Bevölkerung häufiger unter den Verurteilten. Das sind nur ein paar der Ergebnisse eines Forschungsprojekts, die am heutigen Donnerstag um 19 Uhr in einem Vortrag in der Gedenkstätte Lindenstraße erstmals öffentlich vorgestellt werden – in dem Saal, in dem das sowjetische Militärtribunal seinerzeit tagte. Vorgetragen werden sie von Farina Münch. Die Wissenschaftlerin vom Zentrum für Zeithistorische Forschung hat fast drei Jahre lang am Forschungsprojekt „Die Potsdamer Lindenstraße als sowjetisches Geheimdienstuntersuchungsgefängnis“ gearbeitet. Finanziert wurde es vom brandenburgischen Wissenschaftministerium.
Ein knappes Drittel der Verurteilten wurde wegen Delikten aus der Zeit der Naziherrschaft verurteilt – etwa wegen der Misshandlung von Zwangsarbeitern. Das durchschnittliche Strafmaß lag bei 18,4 Jahren. Allerdings war die tatsächliche Haftdauer geringer. Wegen Amnestien in den 50er Jahren habe sie im Schnitt 5,72 Jahre betragen. Etwa drei Viertel der Gefangenen wurden in die DDR entlassen, so weitere Forschungsergebnisse.
Diese Erkenntnisse sind durch die Untersuchung umfangreicher Aktenbestände möglich geworden. „Der Forschungsstand über die Geschichte des Haft- und Gerichtsortes war zu Beginn des Projektes lückenhaft“, so Münch. Es fehlten Zahlen, wie viele Menschen in der Lindenstraße inhaftiert und von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt wurden. Auch fehlten Angaben zur sozialen Herkunft, den Tatvorwürfen oder dem Strafmaß. Für das Forschungsprojekt wurden nun 16 000 sogenannte Haftblätter aus dem Bestand des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde gesichtet. Sie stammen aus der Gefangenenkartei des DDR-Innenministeriums. Ausgewertet wurden die Haftblätter derer, die im Land Brandenburg verurteilt worden, lebten oder verhaftet worden. Insgesamt wurden so die Daten von 3106 Verurteilten in einer Datenbank erfasst. Die Kartei enthält Daten Verurteilter, die 1950 in einem Gefängnis in der DDR inhaftiert waren. Es fehlen jedoch jene, die zuvor verstorben sind oder entlassen oder hingerichtet wurden. Nicht erfasst sind auch Verurteilte, die in Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion deportiert wurden.
Auf dieser Grundlage der Daten sei es nun erstmals möglich, die Verurteilungsgründe, Haftverläufe und die Sozialstruktur der Häftlinge im zeitlichen Verlauf zu beschreiben, so Münch. So zeige sich nicht nur eine Abnahme der Verurteilungen wegen NS-Delikten, je weiter das Kriegsende zurückliege, sondern auch eine Häufung von Verurteilungen wegen antisowjetischer Delikte ab 1947 bis zur Gründung der DDR. Solche Deliktvorwürfe konnten zum Beispiel antisowjetische Agitation, die Bildung einer illegalen Gruppe oder die Spionage für einen westlichen Geheimdienst sein. Die Datenauswertung zeige aber auch, dass eine Prüfung der einzelnen Fälle nötig sei, so Münch. Oftmals stimmen die Verurteilungsgründe nicht mit den eigentlichen Haftgründen überein. Dazu könnten künftig noch Akten der Stasiunterlagenbehörde ausgewertet werden.
Ergänzt werden die quantitativen Ergebnisse der Datenauswertung in dem Forschungsprojekt durch insgesamt 23 Interviews mit ehemaligen Inhaftierten, die heute zwischen 80 und 90 Jahre alt sind. So ergebe sich ein plastisches Bild. Bei den Gesprächen übergaben die Zeitzeugen auch Gegenstände. So ist mittlerweile in der Dauerausstellung eine selbstgemachte Sticknadel einer Inhaftierten zu sehen. Marco Zschieck
Der Vortrag von Farina Münch findet am heutigen Donnerstag um 19 Uhr in der Lindenstraße 54/55 statt
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