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Homepage: Die Welt zu Gast im Thalia

Das Programm stimmt: Der erste Festivaltag der „Sehsüchte“ mit Qualität und Kauderwelsch

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Wo könnte man derzeit in Potsdam Lippenbekenntnisse zu mehr Toleranz und Achtung des Fremden besser auf Wirksamkeit überprüfen als auf dem 35. internationalen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“? Das Fenster zur Welt steht im Thalia-Kino gerade weit offen. Ganz sicher, die Potsdamer werden sich diese Gelegenheit in den kommenden Tagen (bis 30. April) nicht entgehen lassen. Wo kann man schon an der Kultur von 29 Ländern teilnehmen?

Der erste Festivaltag hat es immer am schwersten, so mitten in der Woche. Schon allein arithmetisch ist er deshalb nicht der Tag, an dem der Publikumspreis vergeben werden könnte. Diese Entscheidung fällt wohl am Freitag oder Samstag zur Primetime um 20 Uhr, wenn die Kinohungrigen kommen. Das wissen auch die Programmmacher.

Dennoch. Zwei Plätze weiter rechts wurde am Mittwoch der Stimmzettel sogar schon vor der Vorstellung ausgefüllt. Die bezaubernde Darstellerin der Mainzer Produktion „Der erste Engel“ brauchte nicht lange zu überlegen, welcher Film ihre Stimme bekam. Ihre Schönheit ausgenommen, lahmte der Streifen unter der Regie von Mario A. Conte aber an der „deutschen Krankheit“. Zu kopflastig, wie der Teufel und der gefallene Erzengel Luzifer nur angeblich um die Seele des Selbstmörders kämpfen. Zähe Dialoge und dann ein Schwertkampf, inszeniert wie beim „Herrn der Ringe“ in der RTL-Fassung.

Das Festivaltreiben macht den Eindruck eines Hologramms. Irgendwie virtuell. Die Studenten des Organisationsteams sehen nach der Eröffnungsnacht etwas abgearbeitet aus, sind aber um Haltung bemüht. Sie haben, das zeigt bereits der erste Tag, eine qualitativ hervorragende Auswahl getroffen. Politisches, wie die israelische Farce „The Messiah“ von Guy Dimenstein. Der Konflikt in Palästina als bitterböse Satire. Irre Turbulenzen an einem Grenzposten. Zwei tumbe Soldaten, ein vermutlich verrückter Messias, Friedensaktivisten, ein Terrorist und dann kommt auch noch das Fernsehen. Humor als letztes Mittel, den Irrsinn einer Gewaltspirale zu beschreiben. Ein Kopie bitte an die Hamas schicken.

Oder Experimentelles, wie Cem Kayas strukturalistische Montage „Do not Listen!“. Aus dem Original und einer amüsanten türkischen Remake-Version des Horrorschockers „Der Exorzist“ schnitt Kaya eine postmoderne christlich-islamische Version einer Teufelsaustreibung. Die Stimme des „Dämonen“ klingt gruselig, aber bekannt. Es ist Angela Merkel, noch nicht Kanzlerin, wie sie 2004 auf einem Parteitag über die Aufnahme der Türkei in die EU und das Thema Zuwanderung redet: „Schluss mit Toleranz!“ forderte sie gleich mehrfach. Wo liegt der wahre Horror?

Zudem Unterhaltsames und auch solche Filme, die das zur Eröffnung geäußerte Kriterium des HFF-Präsidenten Dieter Wiedemann erfüllten. Sie sind geeignet, die geforderte „Herzensbildung“ anzuregen. Wie die schwedische Produktion „Strike Back“ (Jonas Embring). Das Mädchen Madde wird sexuell von dem neuen Freund ihrer Mutter bedrängt, aber keiner glaubt ihr. Scheußlich, schmierig, realistisch. Der Film berührt sinnlich, ein klarer Favorit. Nicht nur wegen der hervorragenden Darsteller, sondern auch weil er das Leben nach dem Missbrauch weiter gehen lässt. Madde übt Rache und feiert eine zerstörerische Party. Sie kann sich so mit Hilfe ihrer Freunde von den Zugriffen des „lieben“ Björns endgültig retten. Aber selbst der Täter bleibt in der Schlusseinstellung ein Mensch, dem Mitgefühl gelten muss.

Das Programm stimmt also. Am Rahmen muss noch gearbeitet werden. Viele der gezeigten Beiträge wirken über den Video-Beamer auf der Leinwand stumpf. Gerade dort, wo die Strahlkraft entscheidend Poetisches sagen will. „Das nervt!“, hieß es im Saal dazu. Könnte hier die Technik nicht die brillanten Bilder liefern, die die Regisseure abgeliefert haben? Ein wenig mehr von dem Goldstaub, der von den studentischen Dekorateuren im Foyer verstreut wurde, täte gut.

Das Festival-Motto „Goldrausch“ ergab sich übrigens, wie vom Team zu erfahren war, eher pragmatisch aus der Wahl des amüsanten Western-Trailers, mit dem in den Kinos für das Festival geworben wurde. Trotz des favorisierten amerikanischen Themas endet jede Vorführung des Festivals dennoch meist in einem lustigen deutsch-englischen Kauderwelsch. Die Moderatoren fischen nach Worten, um die jungen Filmemacher zu befragen: „Äh, äh, ... Drehbuch ...?“ Das Publikum hilft freundlich und ruft: „Script!“ Man muss eben wirklich ein wenig tolerant sein.

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