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Homepage: Dokumente der Entfremdung ZZF editiert Gespräche von Honecker-Breschnew

Im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, gleich neben Honeckers Arbeitszimmer, mit Blick auf die schwindende Ruine des Palastes der Republik: Für die Präsentation ihres Buches hätten sich die Herausgeber kein besseres Ambiente suchen können. „Risse im Bruderbund“ lautet der Titel eines in die intimsten Gefilde kommunistischer Parteidiktatur vordringenden Dokumentenbandes, der von Hans-Hermann Hertle und Konrad H.

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Im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, gleich neben Honeckers Arbeitszimmer, mit Blick auf die schwindende Ruine des Palastes der Republik: Für die Präsentation ihres Buches hätten sich die Herausgeber kein besseres Ambiente suchen können. „Risse im Bruderbund“ lautet der Titel eines in die intimsten Gefilde kommunistischer Parteidiktatur vordringenden Dokumentenbandes, der von Hans-Hermann Hertle und Konrad H. Jarausch, Historiker am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), ediert wurde und im Christoph Links Verlag erscheint. Dabei handelt es sich um die geheimen Aufzeichnungen der Gespräche, die der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid I. Breschnew mit Ost-Berlins Machthaber Erich Honecker zwischen 1974 und 1982 in Moskau und auf der Schwarzmeeridylle Krim führte. Verlagschef Links moderierte den Abend, bei dem zwei Schauspieler in die Rolle der Parteichefs schlüpften und Passagen aus den Protokollen lasen.

Zu Beginn der Konsultationen, Mitte der 70er Jahre, schien die Welt für die Chefs der Bruderparteien noch in bester Ordnung. Der DDR gelang die internationale Anerkennung, der Westen wirkte aus östlicher Sicht nach Vietnamkrieg und Weltwirtschaftskrise angeschlagen. So zeugen die von hymnischen Bekundungen im Geist des Marxismus-Leninismus begleiteten Gespräche zwischen Breschnew und Honecker anfangs noch von Zukunftsoptimismus. Doch schon gegen Ende der 70er Jahre werden, zunächst eher zwischen den Zeilen, deutliche Risse spürbar. Nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 und der Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 verschlechterte sich die Stimmung unter den Parteichefs zusehends. Zwist bricht aus vor allem über das Verhalten gegenüber der Bundesrepublik und die bilateralen Handelsbeziehungen. Das Verhältnis der beiden Parteichefs ist geprägt von gegenseitigem Misstrauen, über das auch eingeübte Höflichkeiten und Bruderküsse nicht hinwegtäuschen können.

Aufgrund des sich dramatisch verschlechternden Gesundheitszustandes Breschnews, der von den Ärzten nur noch mühselig für solche Treffen präpariert werden konnte, besaßen die Konsultationen auch kaum noch Gesprächscharakter. Viel mehr als monologisierende Abhandlungen vorgefertigter Papiere waren kaum mehr zu vernehmen. So zeigen die Niederschriften eine zunehmende Entfremdung zwischen Moskau und Ost-Berlin, schon Jahre bevor es zwischen Gorbatschow und Honecker zu einem handfesten Zerwürfnis kam.

Vom staubigen Parteijargon abgesehen, lesen sich die Protokolle aber auch unerwartet amüsant. So etwa, wenn man sich über den „Gauner“ Ceausescu oder die Unaufrichtigkeit arabischer Staatschefs auslässt. Man erhält tiefe Einblicke in die Denkwelt kommunistischer Führungseliten und gewinnt einen Eindruck vom Stil ihres persönlichen Umgangs miteinander.

Den Herausgebern war sehr daran gelegen, die Gesprächsprotokolle in ihren zeithistorischen Kontext einzubetten. So wurde den abgedruckten Quellen eine Vielzahl hilfreicher Erläuterungen und Kommentare beigefügt. Zudem findet sich am Anfang eine höchst informative und kurzweilige Einleitung, die einen breiten Horizont auf die Geschehnisse in einer der wohl spannendsten Phasen des Ost-West-Konfliktes eröffnet. Hertle sieht den Band nicht zuletzt als Plädoyer für einen weiter gefassten Blick auf die Geschichte des Kommunismus. In der bisherigen Forschung wären Einzelaspekte viel zu stark betont worden. Gerade die Krim-Protokolle würden nun deutlich machen, dass die selbst ernannten Führer der Weltrevolution in weit größeren Dimensionen dachten. Ob die Abwehr des „Imperialismus“, die Bekämpfung „konterrevolutionärer Elemente“ oder die Überwindung ökonomischer Probleme auf dem Weg zum Sozialismus – man dachte global, es ging schlicht um die „Gesamtsituation“. Daran könnte sich auch die Forschung ruhig stärker orientieren. Carsten Dippel

Carsten Dippel

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