
© Manfred Thomas
Von Sabine Schicketanz: Don Camillo und Peppone
Oberbürgermeister-Stichwahl: Am Sonntag fällt die Entscheidung. Im Wahlkampf-Endspurt mit Jakobs und Scharfenberg
Stand:
Von Duell keine Spur. Freundlich, fast partnerschaftlich gehen sie miteinander um, der Amtsinhaber und der Herausforderer. Wie fast jeden zweiten Mittwochabend in den vergangenen acht Jahren sitzen Jann Jakobs und Hans-Jürgen Scharfenberg gemeinsam im historischen Sitzungssaal des Potsdamer Stadthauses. Der Prunk vergangener Zeiten wirkt mitgenommen, die Wände vergilbt, die Goldzierde blättert. Vor dieser Kulisse haben sie sich Wortgefechte geliefert, lokalpolitische Schlachten geschlagen, sich im Dauerwahlkampf geübt, seit Scharfenberg, der Linke mit Schnauzer, dem bärtigen Ostfriesen Jakobs bei der Wahl 2002 bis auf 122 Wählerstimmen auf die Pelle gerückt war.
Jetzt gilt es wieder. Am Sonntag entscheiden die Potsdamer, ob im Rathaus alles so bleibt wie es ist, für die nächsten acht Jahre – oder ob Scharfenberg kommt.
Doch bei der letzten Sitzung des Hauptausschusses vor dem Stichwahl-Tag ist – ausnahmsweise – von Wahlkampf fast nichts zu merken. Sie geben sich staatsmännisch, die Herren. Jakobs und Scharfenberg, das ist ein eingespieltes Team, die Rollen klar verteilt, sie kennen einander wohl besser als die meisten ihrer eigenen Parteigenossen. „Don Camillo und Peppone“, den Roman des italienischen Schriftstellers Giovannino Guareschi hat Jakobs im Sitzungssaal vor einigen Jahren als Geburtstagspräsent an Scharfenberg überreicht – und ja, so sehen sich die beiden gern: Der eine, Don Camillo, ist ein schlitzohriger katholischer Priester, der sich in ständigem Konflikt mit dem anderen, dem kommunistischen, ebenfalls schlagfertigen Bürgermeister Peppone befindet. In den Erzählungen konkurrieren die beiden um die Lösung der sozialen Fragen ihrer Zeit – und erkennen am Ende, dass sie einander näher sind, als sie es wahrhaben wollen.
Seit dem ersten Wahlgang vor zwei Wochen, als Jakobs mit acht Prozent der Stimmen vor Scharfenberg über die Ziellinie ging, bemüht sich der Linke, Distanz aufzumachen. Er fährt jetzt scharfe Angriffe gegen Jakobs’ Politik und Amtsführung, zählt in einem Bürgerbrief angebliche Versäumnisse und Fehlentscheidungen auf. Kein einziges Vorhaben, schreibt Scharfenberg, habe Jakobs „programmatisch formuliert, konsequent verfolgt und zum Erfolg geführt“. Der Amtsinhaber blende aus, dass er, Scharfenberg „häufig der Impulsgeber war und beharrlich dran geblieben“ sei. Jakobs habe einigen Schaden angerichtet, mit dem gescheiterten Niemeyer-Bad am Brauhausberg vier Millionen Euro versenkt, durch Zögern und fehlerhaftes Agieren die teuren Uferkonflikte am Griebnitzsee und in Groß Glienicke befördert, das dringend benötigte Tierheim ohne Alternative geschlossen. Scharfenberg und seine Linke hätten dagegen konstruktiv gewirkt. Die Ansiedlung des Möbelhauses in Drewitz mit mehr als 250 Arbeitsplätzen gehe auf ihr Konto, die Sanierung aller Schulen und Kitas bis 2014, das lang umstrittene Jugendprojekt „Freiland“.
Mit dem Rathausbündnis gegen die Linke, das Jakobs seit zwei Jahren sichere Mehrheiten garantiert, vertiefe der Amtsinhaber die Spaltung der Stadt, meint Scharfenberg. Potsdam, appelliert er an die Wähler, brauche den Wechsel. Dafür hält er im Akkord „Sprechstunden unter freiem Himmel“ ab, vorzugsweise in den südlichen Plattenbaugebieten, trifft sich mit dem Investor für die alte Kaufhalle am Schlaatz, stellt ein Konzept für einen besseren Bürgerhaushalt vor, schlägt sein 100-Tage-Programm an der Tür des Stadthauses an. Auf den letzten Drücker wird außerdem der altbekannte Hartz-IV-Wahlkampf der Linken wieder belebt. „Hartz IV bleibt Armut per Gesetz“ heißt es auf dem Großplakat, das Scharfenberg am gestrigen Donnerstag mit Linke-Bundespolitiker Gregor Gysi enthüllte.
Und wie reagiert Jakobs? Der Amtsinhaber verteilt in der Woche vor der Stichwahl jeden Morgen ab 7 Uhr mit seinen Genossen am Hauptbahnhof die Wahlkampf-Sonderausgabe des Potsdamer SPD-Blattes. Die gedruckte Botschaft ist klar: Wer nicht will, dass Scharfenberg Oberbürgermeister wird, müsse Jakobs wählen. Jede Stimme, die der Amtsinhaber nicht bekommt, ist ein Vorteil für den Konkurrenten. Jakobs hat das Rathaus-Bündnis mit CDU, Grünen und FDP im Rücken. Dass die Parteien zur Stichwahl eine Wahlempfehlung für den Kandidaten ihrer Kooperation abgeben müssen, steht im Bündnis-Vertrag.
Jakobs hält sich zugute, die Chancen der Stadt erkannt und sie genutzt zu haben. Stadtsanierung in Platte und Mitte, der neue Landtag mit Schlossfassade, das Kultur- und Gewerbezentrum Schiffbauergasse, das Alte Rathaus als neues Domizil für das Potsdam-Museum, geringe Arbeitslosenquote, prosperierende Wirtschaft, ein ungebrochener Strom an Zuzüglern, städtische Unternehmen, die schwarze Zahlen schreiben, Bürgerservice, Wirtschaftsgründerservice, Babybegrüßungsdienst und Bauservice in der Verwaltung. Die Erfolge will Jakobs dieser Tage besonders betonen. Er eilt von Grundstein zu Richtfest zu Fördermittelbescheid, stattet Vereinen, Verbänden, Bürgerinitiativen Besuche ab. Die SPD ist in ihrer Wahlkampfstrategie auch dabei geblieben, Scharfenbergs DDR-Vergangenheit als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit nicht zu thematisieren. Darüber möge sich jeder selbst ein Bild machen, heißt es in der offiziellen Erklärung des Rathaus-Bündnisses. Zurückhaltung, die auch in der Befürchtung begründet ist, Angriffe in diese Richtung könnten eine Solidarisierungswelle mit dem Linken auslösen.
Wahlentscheidendes Thema ist Scharfenbergs Biografie längst. Er wäre der erste Oberbürgermeister bundesweit mit einer bekannten IM-Vergangenheit. CDU und Grüne haben bekannt, „wir wollen keinen Stasi-Oberbürgermeister“, Scharfenberg müsse verhindert werden. So werden, hofft das Rathaus-Bündnis, viele Stimmen für Jakobs zusammenkommen – als Stimmen gegen den Ex-IM.
Ob das bürgerliche Potsdam, die Wähler von CDU, Grünen und FDP, sich in großer Mehrheit darauf einlässt, gilt als offen. Nur Tage vor dem Urnengang verstärkt der Fall Kongsnaes, der umstrittene Wiederaufbau der Matrosenstation am Jungfernsee als Touristenattraktion, den Unmut über den amtierenden Rathauschef. Die Vorgänge bestätigen aus Sicht selbst wohlmeinender Potsdamer, was sie Jakobs schon länger anlasten: Der Ostfriese sei freundlich, aber vor allem in Baufragen wenig kompetent, er wolle es allen recht machen, statt klar durchzugreifen, er habe kein Frühwarn-System im Rathaus installiert. So entwickelten sich Konflikte zum teuren Politikum. Werden also die „Bürgerlichen“ überhaupt zur Stichwahl gehen?
Für Scharfenberg stellt sich diese Frage genauso. Bei nur knapp 46 Prozent Wahlbeteiligung in der ersten Runde sah er genau wie Jakobs die Wähler-Mobilisierung als entscheidenden Schlüssel zum Wahlerfolg. Für den Linken bieten vor allem die vielen Nicht-Wähler in den Neubaugebieten im Süden der Stadt Potenzial. Teilweise lag dort vor zwei Wochen die Wahlbeteiligung bei rund 20 Prozent – viel Spielraum also für Scharfenberg.
Der Wahlkrimi ist programmiert.
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