Von Jana Haase: Doppelte Emanzipation
Eine Tagung am Mendelssohn-Zentrum über deutsch-jüdische Frauen aus zwei Jahrhunderten
Stand:
Es ist ein Wehmutsbild. In sich gekehrt und grüblerisch wirkt die kleine Gesellschaft, die da auf der Dachterasse mit herrlichem Blick über Potsdam zusammengekommen ist. Das Gespräch ist verstummt, Brot und Früchte liegen unberührt auf dem Tisch, der aufziehende Abend verheißt nichts Gutes. Der bewusste Anklang an Leonardo da Vincis Wandgemälde „Das letzte Abendmahl“ lässt an Abschied denken.
Aus der Rückschau betrachtet hat die Künstlerin Lotte Laserstein in dem 1930 entstandenen Werk „Abend über Potsdam“ ihrem eigenen Lebensweg vorgegriffen. Wegen ihrer jüdischen Herkunft floh sie 1937 aus Berlin nach Schweden. Das Bild, gemalt auf einer zwei Meter breiten Holztafel, wurde dabei zum Ticket ins Exil: Denn das Einreise-Visum bekam die Künstlerin für eine Ausstellung in Stockholm. Dort gab sie dem Werk einen neuen Titel: „Mina vänner“ heißt es nun, „Meine Freunde“. Aus dem Wehmutsbild ist ein Sehnsuchtsbild geworden. Die Malerin, die heute als wichtige Vertreterin der „Neuen Sachlichkeit“ gilt, hat Deutschland bis zu ihrem Tod im Jahr 1993 nie wieder betreten.
Das Leben dieser Künstlerin und anderer deutsch-jüdischer Frauen stand jetzt im Mittelpunkt einer Tagung des Potsdamer Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (MMZ). „Salondamen & Frauenzimmer – Selbstemanzipation deutsch-jüdischer Frauen in zwei Jahrhunderten“ lautete das Thema des Treffens im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte.
Dabei hatte die 1898 geborene Lotte Laserstein, von deren Schicksal dieWissenschaftlerin und Tagungsleiterin Elke-Vera Kotowski berichtete, eine vergleichsweise komfortable Ausgangssituation. Gehörte sie doch – wie die Architektin Lotte Cohn (1893-1983) – zur ersten Generation von Frauen, die zum Hochschulstudium zugelassen wurde. Dass Frauen durch Erwerbsarbeit für ihren Unterhalt aufkommen, war bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch weithin undenkbar.
Emanzipation bedeutete für die jüdischen Frauen, um die es am MMZ ging, eine doppelte Aufgabe. Sie mussten ihr Recht auf Selbstverwirklichung nicht nur gegen traditionelle Geschlechterrollen erkämpfen, sondern auch gegen Ausgrenzung aufgrund der Religion. Erst als Folge der französischen Revolution wurden Juden in den deutschen Ländern als gleichwertige Bürger anerkannt, eine Voraussetzung für die Emanzipation. Diese Entwicklung war bis in die Kochtöpfe hinein spürbar, wie Annie Falk von der Columbia University New York berichtete. Denn die soziale Verbürgerlichung gab Juden nicht nur Bürgerrechte, sie konfrontierte sie auch mit bürgerlichen Gebräuchen – etwa in der Kochkunst. Daher standen die Vorschriften der koscheren Küche, nach denen zum Beispiel Milch und Fleisch nicht vermischt werden sollen, plötzlich zur Disposition. Die jüdischen Speisegesetze wirkten unzeitgemäß, waren vielen Juden sogar peinlich.
Die öffentliche Debatte über eine mögliche Reform, so die erstaunliche Erkenntnis von Annie Falk, lag aber nicht etwa in der Hand von männlichen Geistlichen. Sie wurde von den Frauen selbst geführt – als Kochbuchautorinnen. 1815 erschien das erste jüdische Kochbuch in deutscher Sprache, Annie Falk fand insgesamt zwei Dutzend. Dabei reicht das Spektrum von strikten Befürwortererinnen der Regeln bis zu Autorinnen, die die jüdischen Speisegesetze nur als „Lippenbekenntnis“ aufzählen, im praktischen Rezeptteil jedoch ignorieren. Das Bemerkenswerte an allen Büchern: Die Frauen verlassen damit erstmals den ihnen zugewiesenen privaten Bereich und übernehmen die wichtige Aufgabe der Auslegung religiöser Vorschriften – ein vorher rein männliches Privileg.
Auf den Weg über die Grenzen der Geschlechterrollen machten sich im 19. Jahrhundert auch Berliner Salondamen wie Rahel Levin Varnhagen oder Henriette Herz, in deren Häusern sich die geistige Elite zum Austausch traf. Oder gut betuchte Frauen wie Margarete Oppenheim, in deren Privatsammlung seit den 1880er Jahren erstmals moderne Kunst, etwa von Cézanne, in Deutschland zu sehen war – deren Wirken heute aber beinahe vergessen ist.
Unbekannt war zur MMZ-Tagung auch der Verbleib des eingangs erwähnten Potsdam-Bildes. Es war im Juni beim Auktionshaus „Sotheby’s“ für 500 000 Pfund versteigert worden, „Käufer anonym“, wie Elke-Vera Kotowski sagte. Am gestrigen Dienstag die Überraschung: Das Bild hängt in der Neuen Nationalgalerie Berlin. Käufer sind die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstaatsminister, die Deutsche Klassenlotterie Berlin und Kunsthändler Wolfgang Wittstock, hieß es.
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