Von Juliane Schumacher: Durch Sanssouci zum Kilimandscharo
Koloniales Erbe: Hans Meyer nannte den Gipfel Kaiser-Wilhelm-Spitze und brachte ein Lavastein mit nach Potsdam – doch der verschwand bei Bauarbeiten
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Sanssouci - Brandenburgs Landtagspräsident Gunter Fritsch hat den Kiliman dscharo mit seinem Sohn bestiegen. Auch der frühere Bildungsminister und heutige Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche reiste 2003 nach Tansania und kraxelte auf den höchsten Berg Afrikas. Und der Laufclub Potsdam machte sich gleich mit einer 15-köpfigen Gruppe auf den Weg und posierte für das Erinnerungsfoto auf dem Gipfel mit der Vereinsfahne. Dabei wäre der Kilimandscharo für Brandenburger auch einfacher zu erreichen: Die breiten Außentreppen des Neuen Palais hinauf, durch kühle Gänge in den zum Park Sanssouci gelegenen Grottensaal.
Den Saal schmücken Wasserpflanzen aus weißem und blauen Marmor, Tausende Muscheln säumen das Deckenbild. An der Nordseite ragt, aus einem Streifen bunter Mineralien, ein Stein aus dunklem Basalt: Lava vom Kilimandscharo. Ein Erbe deutscher Kolonialgeschichte – denn der Berg galt für gut zwei Jahrzehnte als höchster des Deutschen Reiches. Hans Meyer, Spross einer Thüringer Verleger-Familie, erreichte 1889 als erster Europäer den Gipfel des Kibo, des höchsten Berges im Kilimandscharo-Massiv. Heute liegt es in Tansania, an der Grenze zu Kenia. Zwischen 1885 und 1918 dagegen gehörte es zu jenem Teil Afrikas, den das Deutsche Reich als Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ für sich beanspruchte.
Meyer war als privater Entdecker unterwegs, und doch war seine Expedition zum Kilimandscharo „erfüllt von dem Gedanken, dass dieser höchste Berg Deutschlands auch zuerst von einem Deutschen bestiegen werden müsse“, wie er in seinem Buch „Hochtouren im tropischen Afrika“ nach seiner Rückkehr schrieb. Der deutsche Abenteurer brauchte drei Jahre und drei Anläufe, um bis zum Gipfel vorzustoßen. Am 6. Oktober 1889 kämpft er sich über die Schneefelder zum Kraterrand des erloschenen Vulkans, begleitet vom erfahrenen Bergsteiger Ludwig Purtscheller und dem Koch und Träger Muini. Als er die höchste von drei Felsspitzen betritt, zeigt der Höhenmesser rund 6000 Meter.
Meyer beschreibt das Prozedere, mit dem er den Gipfel für Deutschland sichern wollte: „Mit dem Recht des ersten Ersteigers taufe ich diese bisher unbekannte, namenlose Spitze des Kibo, den höchsten Punkt afrikanischer und deutscher Erde, Kaiser-Wilhelm-Spitze.“ Der so Geehrte, Kaiser Wilhelm II., empfing Meyer nach dessen Rückkehr persönlich. Meyer überreichte ihm ein sorgfältig verpacktes Geschenk: einen Lavastein, den „Gipfel des Kilimandscharo“.
Wilhelm II. ließ darauf das Mitbringsel in den Wandschmuck des Grottensaals einarbeiten. Als Wissenschaftler Anfang der 1980er Jahre in mühsamer Kleinarbeit sämtliche Mineralien des Grottensaals bestimmten, stellten sie jedoch fest, dass der vermeintliche Gipfelstein gar nicht aus Lava bestand, sondern aus Biotitschiefer, einem Gestein, das häufig in deutschen Mittelgebirgen vorkommt, aber nirgends im Kilimandscharo-Massiv. Das Originalstück, erzählte schließlich ein Mitarbeiter, habe ein Bauarbeiter bei den Renovierungsarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg versehentlich mit einer Leiter abgebrochen und durch ein ähnlich aussehendes Stück ersetzt, das er im Schotter vor dem Schloss fand. Das Zentrale Geologische Institut Berlin spendete daraufhin Ersatz: An der Stelle des „Kilimandscharo-Gipfels“ klebt heute ein Stück Lava aus der Gesteinssammlung, die Meyer von seiner ersten Expedition mitbrachte – nicht vom Gipfel, aber immerhin vom selben Berg. Der höchste Punkt Afrikas, den Meyer einst nach dem deutschen Kaiser benannte, heißt heute Uhuru-Spitze, oder auf Kisuaheli „Spitze der Freiheit“.
Juliane Schumacher
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