Landeshauptstadt: Durchhalten bis zum Sonnenaufgang
Am 12. und 13. Juli erwacht die Schiffbauergasse zum fünften Mal zur Stadt für eine Nacht
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Längst gehört dieser Termin verlässlich in Potsdams Kulturkalender: Das Spektakel „Stadt für eine Nacht“ findet in diesem Jahr zum fünften Mal in der Schiffbauergasse statt. „Sfen wird fünf“ ist folglich das heimliche Motto der 24 Stunden von Samstag, 12. Juli, 14 Uhr, bis Sonntag, 13. Juli, 14 Uhr. Die bisher verwaltungsinterne Abkürzung „Sfen“ für dieses Kulturevent ist ab sofort der neue Markenname, so Schiffbauergassenmanagerin Isabel Ahrens.
2010 wurde erstmals das an Besuchermangel krankende Kulturareal zwischen Berliner Straße und Tiefem See mit einer temporären Hütten-Stadt belebt, präsentierten sich Anbieter, Veranstalter und Macher der freien Potsdamer Kunst- und Kulturszene sowie aus dem Bereich Wissenschaft. Mit den Jahren wurde das Angebot differenzierter und vielfältiger, Vereine, Galeristen und wissenschaftliche Einrichtungen kamen hinzu, Themen wie Stadtentwicklung als auch Jugend- und Subkultur wurden aufgegriffen. 2013 kamen 25 000 Besucher, Familien, Kinder, Jugendliche, zur Stadt für eine Nacht. Auch in Berlin hat sich diese Veranstaltung herumgesprochen, selbst in der Hauptstadt wird dafür mittlerweile geworben und plakatiert.
„Es ist zu einer Erfolgsgeschichte geworden, das hätten wir damals nicht erwartet“, sagte am gestrigen Mittwoch Tobias Wellemeyer. Der Intendant des Hans Otto Theaters ist ebenso lange in Potsdam wie es „Sfen“ gibt. Nicht nur für die Besucher, auch für die Anrainer selbst sei diese Nacht wichtig, eine Gelegenheit, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die Arbeit der Kollegen kennenzulernen.
Doch vor allem war das neue Format der langjährigen Kritik an einer fehlgeleiteten Entwicklung des Kulturstandorts geschuldet. Hier sollte sich einmal im Jahr gebündelt zeigen, was Potsdam an kulturellem Potenzial zu bieten hat, ohne Hürden – bei freiem Eintritt sowohl für Besucher als auch für Anbieter. Es gibt keine Standmieten oder ähnliche Gebühren. Der nachhaltige Erfolg der Veranstaltung lasse sich nun unter anderem daran ablesen, dass es mittlerweile mehr Bewerber als Kapazitäten für diese Nacht gibt, so Kulturdezernentin Iris Jana Magdowski (CDU). Mehr als 40 Bewerber für 35 sogenannte Raumkörper, kleine Hütten, habe es gegeben, und noch immer gebe es Nachfragen einzelner Künstler, ob sie kurzfristig dazukommen könnten. „Aber jetzt sind wir voll“, sagte gestern Isabel Ahrens.
Zu den 90 Akteuren, vom kleinen Ein-Mann-Koffertheater bin hin zu den großen Häusern, gehören auch die Biosphäre, das Urania Planetarium und das Naturkundemuseum. Erstmals dabei ist das Soziokulturzentrum Freiland. Wer sich nicht in einem Häuschen präsentiert, kommt mit Zirkuswagen, die Kulturcamper Potsdam bringen ein Zelt mit, auch Container werden aufgestellt. Kleinere Akteure, wie verschiedene Kinder- und Puppentheater, treten auf dem Theaterspielplatz auf. In dem Gewirr von Gassen und Plätzen bilden sich Orte der Begegnung und des Rückzugs heraus. Der Schirrhof zwischen T-Werk, Museum Fluxus und Schinkelhalle wird vor allem mit Theater bespielt.
Neben Kultur finden sich im Programm auch mehr und mehr Angebote, die sich mit dem Leben und dem Miteinander in dieser Stadt beschäftigen. „Die Frage, wie wir hier in Zukunft gemeinsam leben wollen, aus stadtplanerischer und ökologischer Sicht, wird immer wichtiger“, sagte Kulturamtsleiterin Birgit Katherine Seemann. Sie freue sich sehr, dass es gelungen ist, Harald Welzer, Professor für Transformationsdesign in Flensburg, für den Termin zu gewinnen. In einem Podiumsgespräch mit Welzer und der Berliner Dombaumeisterin Charlotte Hopf geht es um die Frage, was Architektur und Baukultur mit der Zukunftsfähigkeit einer Stadt zu tun haben. Die Lebenshilfe Potsdam beschäftigt sich mit dem Thema Inklusion, die Fachhochschule präsentiert Forschungsergebnisse zum Thema Stadtplanung.
Zum 24-Stunden-Spiegelbild der Stadt Potsdam gehört auch ein Nachtleben. Neben Kostproben der freien Theater wie dem T-Werk und der Oxymoron-Company findet sich Musik und Party: Jazz, und Blues, Klangbar und Hörwerkstatt. Das lauteste Event der Nacht dürfte das Mitmach-Drum-Spektakel im Waschhaus sein, so Waschhaus-Chef Siegfried Dittler, das leiseste die Silent Disco, wenn die Tänzer die Musik über Kopfhörer empfangen. Auf dem Theaterschiff und der Bühne am See wird ab Mitternacht bis zum Morgengrauen getanzt. Selbst die Fußball-WM findet statt: In der Schinkelhalle wird Public Viewing angeboten.
Wer durchhält, erlebt am Morgen den Sonnenaufgang über dem Tiefen See. „Anschließend empfehle ich Morgenyoga, ab 6 Uhr auf der Wiese neben der Fabrik“, sagte Dittler. Tatsächlich haben manche den Ehrgeiz, die 24 Stunden vor Ort zu bleiben, sagte Philipp Röbke, Sfen-Projektleiter. Auch für die Übergangs-Bewohner der Stadt stellt sich dann die Frage, wie man mit dem Zeitfenster umgeht. „Wer genug Personal hat, arbeitet in Schichten, andere pausieren nachts mal zwei Stunden“, so Röbke.
Mit 115 000 Euro wird diese lange Nacht von der Stadt gefördert, der Betrag sei durch die Jahre etwa gleich geblieben, sagte Seemann. Auch wenn sich erste Erfolge, was die Belebung des Areals betrifft, eingestellt haben, soll es diese Nacht weiterhin geben.
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