Landeshauptstadt: „Ein altes Verbrechen kann kein neues Verbrechen rechtfertigen“ Reiner Nowak vom BdV vertritt die Interessen der Vertriebenen
Reiner Nowak (64) ist stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) im Land Brandenburg und hat sich für den Gedenkstein für die Opfer von Flucht und Vertreibung eingesetzt. Herr Nowak, woran denken Sie beim Stichwort „Vertriebene“?
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Reiner Nowak (64) ist stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) im Land Brandenburg und hat sich für den Gedenkstein für die Opfer von Flucht und Vertreibung eingesetzt. Herr Nowak, woran denken Sie beim Stichwort „Vertriebene“? Vertriebene sind Menschen, die ihre Heimat verloren haben. Im engeren Sinne sprechen wir von deutschen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben wurden. Inzwischen haben wir den Begriff „Vertriebene“ erweitert und meinen damit alle Vertriebenen der europäischen Kriege. Sind Sie selbst ein Vertriebener? Ja. ich war sechs Jahre alt als wir aus unserem Haus im Sudetenland in Görkau vertrieben wurden. Die tschechischen Nationalgarden standen plötzlich vor der Tür. Binnen zwanzig Minuten musste meine Mutter die Sachen packen und dann wurden wir in Viehwaggons gesteckt. Mehrere Wochen lang fuhr der Zug durch die sowjetische Besatzungszone, erst durch ganz Sachsen, dann durch Thüringen bis zum Rand der SBZ. Dort mussten wir alle raus. Diese Vertreibungen waren ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Um darauf aufmerksam zu machen, hat sich der BdV Brandenburg für einen Gedenkstein in Potsdam eingesetzt? Richtig. Der Gedenkstein gegen Vertreibungen soll drei Aufgaben erfüllen: Erstens an die deutschen Opfer der Vertreibung erinnern, zweitens an die anderen europäischen Opfer von Vertreibungen erinnern und drittens soll er das erlebte Unrecht ins Bewusstsein rücken, damit man sich darüber austauscht. All das frei von politischen Forderungen. Zum Beispiel der Forderung nach Entschädigungen oder der Rückübertragung von Land? Der BdV hat nie Anträge auf die Rückübertragung von Land oder Eigentum gestellt. Die Vertriebenen wurden individuell geschädigt und wir können nicht verhindern, dass Betroffene sich um Entschädigung bemühen oder sich an Institutionen wie die Preußische Treuhand wenden. Wir können nur Ansprechpartner vermitteln. Und warum sollen die Ansprüche nicht legitim sein? Nach der Wiedervereinigung wurden Westdeutsche entschädigt, die in der ehemaligen DDR enteignet worden sind. Wenn die Oder-Neiße-Grenze weiter rechts läge, würde sich niemand über diese Forderungen erregen. Wofür setzt sich der BdV sonst ein? Dafür, dass dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch als solches betrachtet wird. Vertreibung darf nicht als legitimes Kriegsmittel eingesetzt werden. Zudem organisieren wir Fahrten in die ehemaligen Ostgebiete und besuchen dort die deutsche Minderheit und die heimische Bevölkerung. Wir wollen das kulturelle Erbe der deutschen Minderheit pflegen und persönliche Freundschaften aufbauen. Wer beim BdV an Hakenkreuz und Eichenlaub denkt, liegt völlig falsch. Dennoch wird dem BdV vorgeworfen, dass rechtsextreme Tendenzen früher im Verein vorhanden waren und auch heute noch sind. Zu jeder Zeit war der BdV ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren ehemalige Nationalsozialisten in der deutschen Politik und Verwaltung aktiv. Ich will nicht ausschließen, dass es auch im BdV so war. Doch der BdV hat sich seit der Wiedervereinigung gewandelt. Bis 1989 war der BdV die Speerspitze gegen den Ostblock. Heute wird der Osten nicht mehr als Feind betrachtet. Wie unterscheiden sich ostdeutsche von westdeutschen Vertriebenen? Während die Vertriebenen in der Bundesrepublik über das Lastenausgleichsgesetz entschädigt wurden, wurde dieses Thema in der SBZ und der DDR totgeschwiegen. Dass auch die Russen Verbrechen begangen hatten, durfte nicht erwähnt werden. Nach der Wende wurden die Vertriebenen aus der ehemaligen DDR mit 4000 DM pro Vertriebener entschädigt, wobei die Anspruchskriterien sehr restriktiv ausgelegt wurden. Wir haben uns dafür eingesetzt, Entschädigungen gerechter zu gestalten, aber ohne Erfolg. Nicht nur der Gedenkstein in Potsdam hat die Gemüter erhitzt, auch das geplante Mahnmal gegen Vertreibung in Berlin. So wird Ihnen vorgeworfen, dass sie ein Gegenstück zum Holocaust-Mahnmal errichten wollen. Diese Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen. Übrigens geht es nicht um ein Mahnmal gegen Vertreibung, sondern gegen Vertreibungen, denn das soll die europäische Dimension unseres Anliegens unterstreichen. Sehen Sie die Vertriebenen und die Opfer des Holocaust auf einer Ebene? Ein Toter ist ein Toter. Da fragt keiner, ob er im Konzentrationslager oder in einem russischen Gulag gestorben ist. Entscheidend ist das Leid und der Tod, der einem Individuum zugefügt wurde. Am Ende des Zweiten Weltkrieges sind Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern geworden. Wer die Macht hatte, war der Täter. Als die Machtverhältnisse sich wandelten, hat sich auch das Täter-Opfer-Verhältnis umgewandelt. Doch ein altes Verbrechen rechtfertigt nicht ein neues Verbrechen. Wollen Sie die Schuldfrage der Deutschen relativieren? Der Zweite Weltkrieg ging vom Deutschen Reich aus und hat sehr viel Leid über die Welt gebracht. Das steht außer Frage. Doch wie viele Tote müssen es sein? Reichen zwei Millionen nicht, um ein Mahnmal für die Opfer von Vertreibungen zu errichten? Wie kann der vorhandene Konflikt um die Vertriebenen gelöst werden? Wir wollen die Opfer dieses Verbrechens nicht vergessen und einen symbolischen Händedruck zwischen den Vertriebenen und den Vertreibervölkern erreichen. Interview: Michael Kaczmarek
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