Von Jana Haase: Ein bisschen Kreuzberg
Charly und Barbara Rothenburg betreiben seit zehn Jahren das gleichnamige Café in der Gutenbergstraße
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Sie sind ein ungleiches Paar: Barbara und Charly Rothenburg. Die resolute zierliche Frau und ihr auf den ersten Blick scheu wirkender Mann. Seit zehn Jahren betreiben sie das Café Rothenburg in der Gutenbergstraße 33. „Was in diesem Café alles passiert ist, ist schon filmreif“, sagt Barbara Rothenburg. Und Charly stand vor 30 Jahren sogar selbst vor der Kamera – lange bevor sich die Rothenburgs kennengelernt haben. Aus der Potsdamer Kneipenszene sind die zwei heute jedenfalls nicht mehr wegzudenken.
Zehn Jahre erst? Die mit wildem Wein bewachsene Fassade und der Gastraum dahinter sehen aus, als sei hier schon immer alles so gewesen: Fachwerk und abgetretenes Parkett, Lampenschirme aus weißen und blauen Glasflaschen, das Lilienmuster an den Wänden, die hohe Theke aus dunklem Holz mit dem halbrunden Küchenfenster, die glänzend gesessenen Holzstühle.
Tatsächlich hatte die Einrichtung bereits Geschichte, als sie vor 10 Jahren nach Potsdam kam. Eine ziemlich aufregende sogar. Aber die will Charly Rothenburg jetzt noch nicht erzählen. Lieber verschwindet er in der Küche, kocht Königsberger Klopse oder die Rouladen, von denen seine Frau so schwärmt. „Ehrliches Essen zu ehrlichen Preisen“, sagt sie und schaut ihrem Mann nach. „Bei uns gibt es eine klare Aufgabenteilung“, erklärt sie dann. Charlys Reich ist die Küche, Barbara Rothenburg herrscht im Gastraum.
„Hier hat sich schon manches Paar kennengelernt“, erzählt sie. Barbara Rothenburg merkt das auch an den Tischreservierungen. Einige Paare feiern hier regelmäßig „Jahrestag“: „Einige haben geheiratet und Kinder gibt es auch schon.“ Die Zeiten, in denen die Inhaberin nach Ladenschluss noch eine letzte Zigarette mit den Gästen geraucht hat, sind aber seit dem Nichtrauchergesetz vorbei. Barbara Rothenburg ist darüber nicht allzu traurig. So kommt sie schneller dazu, den Bürokram zu erledigen. „Das wird immer nachts gemacht“, erzählt sie.
„Wir sind mit dieser Straße verwurzelt“, findet die gebürtige Luckenwalderin, die mit ihrem Mann in einer Wohnung schräg gegenüber lebt. Seit 1970 wohnt sie in der Stadt, hat hier ihren eigentlichen Beruf in der Werbebranche erlernt, arbeitete als Schaufensterdekorateurin und Touristen-Führerin im Park Sanssouci. Nach der Wende führte sie mit ihren zwei Schwestern die Textil-Galerie „Extra“ in der Lindenstraße. „Wir kannten Hinz und Kunz“, erinnert sich Barbara Rothenburg: „Wenn jemand vorbei kam, gab es immer erst mal Kaffee.“
Irgendwann in dieser Zeit muss die Idee mit dem eigenen Café entstanden sein. Und dann ist sie langsam gewachsen. Genau wie der wilde Wein, der heute die gesamte Fassade des „Rothenburg“ bedeckt. Dabei war es nur ein kleiner Blumentopf, den Barbara Rothenburg neben die Eingangstür zu dem neuen Café pflanzte: „Es sah vorher gar zu nackt aus“, erinnert sie sich.
Das Café war für sie ein Neustart „voller Idealismus und Naivität“, erzählt Barbara Rothenburg weiter. Dass sie diesen Neustart gewagt hat, daran hatte auch ihr Mann Anteil. Denn er kannte das Metier, hat in den 1980er Jahren das Kreuzberger Szene-Restaurant „Exil“ geschmissen, wo sich die Musiker von U2 oder auch Filmregisseur Francis Ford Coppola die Klinke in die Hand gaben.
Diese Namen sind Charly jetzt doch rausgerutscht. Er ist plötzlich wieder aus der Küche gekommen und steht hinter der Theke. „Alles original “Exil“-Mobiliar“, sagt er dann stolz und zeigt auf Theke, Tische und Stühle. Gut möglich also, dass die Dame da drüben, die ihren Apfelstrudel löffelt, auf demselben Stuhl sitzt wie schon U2-Sänger Bono, denkt man unwillkürlich und dann: Ist das hier wirklich Potsdam?
Ein bisschen Kreuzberg muss mit den Möbeln in die Gutenbergstraße gezogen sein. „Nicht nur die Potsdamer, sondern auch die Berliner Jazzmusiker fühlen sich hier sehr wohl“, erzählt die Chefin. Jeden Freitag laden die Rothenburgs zu kostenlosen Jazz- und Swingabenden ein. Nach dem Auftritt geht Barbara Rothenburg mit einem Körbchen durch das Café und sammelt für die Musiker. Seit diesem Jahr gibt es im Café auch Fotoausstellungen. „Wir sind immer auf der Suche nach interessanten Künstlern“, sagt Barbara Rothenburg.
Zum Abschied lässt sie sich für ein Foto ablichten – zusammen mit Charly. „Sie stehen vor einem Bundesfilmpreisträger“, sagt er da noch, wie nebenbei. Tatsächlich: Vor mehr als 30 Jahren war er der Hauptdarsteller in Roland Klicks Hamburger Milieu-Studie „Supermarkt“, mit Eva Matthes und Michael Degen. Die Musik kam vom damals unbekannten Marius Müller Westernhagen. Barbara Rothenburg holt die Filmplakate hervor und zeigt auf den jungen Charly. „Ein schöner Mann wars mal, nicht?“, sagt sie.
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