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An den Unfallort erinnert heute noch ein weiß gestrichenes Fahrrad.

© H. Kramer

Prozess nach Tod einer Radfahrerin am Nauener Tor: Ein Blick in den Spiegel hätte alles verhindern können

Fahrlässige Tötung: Nach dem Unfalltod einer Radfahrerin in Potsdam ist ein Lkw-Fahrer zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

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Potsdam - Der Angeklagte nahm das Urteil mit unbewegter Miene entgegen: Wegen fahrlässiger Tötung einer 19 Jahre alten Radfahrerin aus Potsdam ist ein 63 Jahre alter Lkw-Fahrer am Mittwoch vor dem Amtsgericht schuldig gesprochen worden. Der heutige Rentner aus Wolfen in Sachsen-Anhalt muss eine Geldstrafe zahlen – insgesamt 900 Euro. Zuvor hatte Rainer B. (*Namen geändert) die Möglichkeit einer Stellungnahme abgelehnt. Sein Verteidiger hatte jedoch versichert, dass ihn das Geschehene noch immer mitnehme – zumal sich der Unfall kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben ereignete.

Amtsrichterin Reinhild Ahle sah es nach der Beweisaufnahme als erwiesen an, dass der Angeklagte seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt und beim Abbiegen nicht in den Spiegel geschaut habe. Ein Fehler mit weitreichenden Folgen: „Das eigene Kind zu verlieren ist sicherlich das Schlimmste, was Eltern passieren kann“, sagte die Richterin. Die Unaufmerksamkeit kurz vor Feierabend sei aber ein Fehler gewesen, „der jedem von uns hätte geschehen können“. Mildernd auf die Strafhöhe wirkte sich aus, dass der Angeklagte sich zuvor in seinem Leben nie etwas zuschulden kommen lassen hatte. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert, die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 1200 Euro.

Gutachten: Lkw-Fahrer hätte die junge Frau schemenhaft erkennen müssen

Es ging um einen schweren Verkehrsunfall vom 3. November 2015 nahe dem Nauener Tor. An jenem Dienstag war die 19-jährige Julia D. am Nachmittag von einem aus der Kurfürstenstraße in die Friedrich-Ebert-Straße abbiegenden Lkw erfasst worden. Laut Zeugenaussagen soll sich der Lenker ihres Fahrrades zunächst mit dem Lkw verhakt haben, wie es damals von der Polizei hieß. Daraufhin soll die junge Frau ins Schlingern geraten und gestürzt sein. Der Lkw überrollte sie. Die 19-Jährige erlag noch am Unfallort ihren schweren Kopfverletzungen. Für die Ermittlungen hatte die Polizei unter anderem den Unfallgutachter Oliver Wagner beauftragt. Nicht deutlich, aber doch „schemenhaft“ hätte der Fahrer des Lkws die junge Frau beim Abbiegen im Seitenspiegel erkennen müssen, führte der Verkehrsexperte der Dekra aus.

Der Angeklagte bestritt die Vorwürfe. An dem Tag hatte der seit 1992 tätige Lkw-Fahrer aus Sachsen-Anhalt gegen 6 Uhr mit seinem Arbeitstag begonnen, er sollte mit seinem Sattelschlepper zu einem letzten Kunden noch Styroporplatten für eine Haussanierung bringen. Dann sei er in die Friedrich-Ebert-Straße eingebogen, habe dabei mehrfach in den rechten Rückspiegel geschaut, „wie immer“, so der 63-Jährige. Erst als der Abbiegevorgang beendet war, sei der Unfall passiert, sagte auch der Verteidiger für seinen Mandanten. Das Unglück habe er nur durch einen Knall mitbekommen, so der Familienvater. Dann erst habe er die zuvor nicht wahrgenommene Radfahrerin gesehen – als sie mit dem letzten Rad des Sattelzugs überrollt wurde. „Ich habe gleich gebremst“, betonte er. Ein Polizist bestätigte, bereits vor Ort habe der Fahrer mehrfach erklärt, die junge Frau nicht gesehen und nur die Kollision gehört zu haben.

Augenzeugen standen unter Schock

Das Unglück mit ansehen mussten Anna A. und Leon F., 19 und 20 Jahre alt, damals ein Liebespaar. Die jungen Leute waren mit dem Auto auf dem Weg ins Rathaus, standen direkt hinter dem Unglückswagen. Bei ihren Aussagen war auch ein Jahr später zu merken, wie sehr sie das Geschehen noch verfolgt. Die Verunglückte sei mit dem Lenkrad gegen den Laster gekommen, habe sich zunächst scheinbar noch gefangen und sei dann auf die Fahrbahn gefallen, schilderte Anna A. – die als eine der ersten am Unfallort war, noch das Fahrrad zur Seite räumte. Ihr damaliger Freund rief zunächst den Notarzt. Zugleich räumte er zahlreiche Erinnerungslücken ein, auch weil er das Geschehene möglichst verdrängen wollte: „Ich stand damals unter Schock.“

An die getötete 19-Jährige erinnert heute ein weißes Fahrrad, das am Fahrbahnrand bei der Unfallstelle steht. Dort sind immer wieder – auch ein Jahr nach dem Unfall – noch Blumen zum Gedenken aufgestellt. Der Tod der Radfahrerin hatte erneut eine Debatte ausgelöst, ob in Potsdam genug für die Sicherheit von Radfahrern getan wird.

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