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Landeshauptstadt: Ein Flohzirkus im Rathaus

Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Brandenburgs Landeshauptstadt ist unregierbar und ziemlich pleite

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Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Brandenburgs Landeshauptstadt ist unregierbar und ziemlich pleite Von Sabine Schicketanz Wenn die Statistik Potsdam zur neuen ostdeutschen Traumstadt kürt, dann auch, weil unter vielen Blinden eben der Einäugige König sein darf. Glänzt die eine Seite der Medaille golden, ist die andere tief geschwärzt und der kommunale Alltag manchmal ziemlich grau. Das Loch in der Stadtkasse ist auf Rekordgröße gewachsen, die Wähler haben Oberbürgermeister Jann Jakobs bei der Kommunalwahl Mehrheitsverhältnisse eingebrockt, die die Stadt bisher nahezu unregierbar machen. Welche Folgen das neue und doch altbekannte Pattverhältnis zwischen SPD und PDS hat – die Sozialdemokraten stellen nach enormen Stimmenverlusten die Stadtspitze, die Sozialisten die stärkste Fraktion – ist schnell klar geworden. Jakobs verweigerte sich öffentlich jeder Koalitionsaussage, erteilte Rot-Rot eine laute Absage, und erntete von der PDS den höhnischen Kommentar, man habe sich doch gar nicht für eine Zusammenarbeit angeboten. Währenddessen forderte die CDU, die großen Volksparteien müssten „den Kern bilden“, um Stillstand zu vermeiden. Den habe die Stadt mit einer übermächtigen PDS schließlich schon einmal, von 1994 bis 1998, ertragen müssen. Damals regierte der glücklose und abgewählte Horst Gramlich (SPD) zumindest informell mit den Sozialisten. Dass Jakobs es ihm gleichtun könnte, sorgt bei den Konservativen für schlimme Befürchtungen, obwohl der Oberbürgermeister – bisher? – versichert, keine derartigen Absichten zu hegen. Wenn sich die „Kleinen“ – sechs Mini-Parteien haben elf Sitze im Stadtparlament erobert – wie erwartet als unzähmbarer Flohzirkus präsentieren, ebnen sie damit SPD-Mann Jakobs den Weg zu einem rot-roten Bündnis. Dass es eben nicht anders geht, kann dann jeder sehen. Und das sich meist selbst überschätzende „bürgerliche Lager“, jetzt zusätzlich geschwächt durch die zerstrittenen Christdemokraten, muss sich geschlagen geben. Allerdings, bis zur Landtagswahl 2004 ist Rot-Rot in Potsdam wohl tabu, weil PDS-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg für den Landtag kandidiert. Da vorher unpopuläre Rotstift-Beschlüsse mitzutragen, käme bei den PDS-Wählern wohl nicht gut an. Nach der Wahl kann man mit den Genossen natürlich über alles reden. Erste Nagelprobe ist der Haushalt für das neue Jahr. Frühestens im März will der Oberbürgermeister den Etat vorlegen, harte Verteilungskämpfe sind programmiert. Nicht umsonst haben im November bundesweit Bürgermeister vor ihren Rathäusern leere Stadtsäckel und schwarze Pleitegeier gehisst. Spätestens da war klar, dass von der Absicht des Kämmerers Burkhard Exner, den städtischen Haushalt zu sanieren, nicht mehr viel übrig geblieben ist. Stattdessen gilt es nun, überhaupt einen genehmigungsfähigen Entwurf vorzulegen. Während die Ausgaben für Sozialhilfe in horrende Höhen gestiegen sind, sinken die Steuereinnahmen in ungekannte Tiefen. Zugleich werden die Schlüsselzuweisungen – das Geld vom Land, das den Kommunen entsprechend ihrer Einwohnerzahl zugeteilt wird – um mindestens ein Viertel gekürzt. Die sieben Gemeinden, die seit dem Wahltag am 26. Oktober mehr oder weniger freiwillig Potsdams Einwohnerzahl um 11 000 erhöht und die Stadtfläche um 71 Prozent vergrößert haben, bringen finanziell vorerst eher Be- als Entlastung. Weil die Landeshauptstadt die Schulden von Fahrland übernehmen muss, steigt die Pro-Kopf-Verschuldung von 650 auf 870 Euro, das Land rückt nur 1,8 Millionen Euro mehr an Schlüsselzuweisungen für die Neubürger heraus. Die versprochenen Investitionen für die neuen Gemeinden liegen zudem erstmal auf Eis – der Haushalt lässt eben selbst kleine Sprünge kaum noch zu. Schon jetzt gilt eine 13-Prozent-Sperre, freie Träger bekommen ihre Fördergelder nur scheibchenweise, die Zahlungen für freiwillige Leistungen stehen auf strengstem Prüfstand und das alles reicht noch immer nicht, um die Etatlöcher nicht größer werden zu lassen. Weiteres Tafelsilber muss verscherbelt werden, bis zum April sollen Experten ausgerechnet haben, welche städtischen Unternehmen zum Verkauf angeboten oder fusioniert werden sollen. Beim größten Fusionsvorhaben des Jahres fand sich Oberbürgermeister Jakobs allerdings nach einem erfolgversprechenden Coup schnell auf verlorenem Posten. Er wollte das städtische Klinikum Ernst von Bergmann mit dem katholischen St. Josefs-Krankenhaus verschmelzen, dadurch Fördermittel des Landes in Millionenhöhe auf den Klinikumstandort konzentrieren und den zwangsläufigen Wettbewerb beider Krankenhäuser ums Überleben verhindern. Kluge Vorsorge. Doch nicht nur die PDS verweigerte ihm die Gefolgschaft, sondern auch die eigene Stadtfraktion. Sie rückten nicht von der Forderung ab, die den Katholiken nicht erlaubten Abtreibungen weiter in der fusionierten Klinik zu ermöglichen. Ein Vorwand? Entnervt und enttäuscht verkündete Jakobs Anfang Dezember das Scheitern der Fusion. Und während es bei den wieder aufzubauenden architektonischen Wahrzeichen Stadtschloss und Garnisonkirchturm gar nicht mehr vorwärts geht, steht die Stadtspitze bei der Bewerbung um den Titel der „Kulturhauptstadt Europas“ 2010 erheblich unter Druck. Erst im Dezember wurde der Projektmanager vorgestellt, gleich nach der Kommunalwahl lieferte ein Machtspiel im Landtag den Gegnern der Bewerbung Munition: Die Regierungskoalition verweigerte auf PDS-Antrag der Landeshauptstadt ihre Unterstützung. Potsdam müsse, hatte Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) kritisch hinzugefügt, mehr für seine Bewerbung tun. Ernüchtert sprach Jakobs von einer verheerenden Wirkung dieser Vorgänge – bereits Ende März muss eine perfekte Bewerbung vorliegen. Wird im Rathaus darum gerungen, blasen draußen immer öfter die Protestler ihre Trillerpfeifen. Schüler wollen ihre Gymnasien und Gesamtschulen retten, denen wie Sozialeinrichtungen die Schließung droht. Bleibt dem Oberbürgermeister nur, trotz der schwierigen Lage im Rathaus auf Potsdams goldene Seiten zu verweisen. Den gelegten Grundstein für Karstadt, das Theater am neuen Kulturstandort Schiffbauergasse. Und immerhin, der Sparhaushalt 2003 konnte trotz Parteiquerelen beschlossen werden. Eine Genugtuung für Jakobs. König Potsdam bleibt schließlich König – auch wenn er nur einäugig ist.

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