zum Hauptinhalt
Freispruch: Der Kapitän der „Moca“ (l.) wurde am Dienstag nicht verurteilt.

© dpa

Unglück auf See: Ein Freispruch und neue Vorwürfe

Es hat nur wenige Minuten gedauert, bis das Segelboot auf den Boden des Schlänitzsees sank. Ein Frachtkahn hatte die Yacht vor zwei Jahren gerammt. Zwei Seglerinnen starben. Der Prozess endet mit einem Freispruch für den Frachtschiffkapitän.

Stand:

Potsdam - Für eine vierköpfige Reisegruppe aus Thüringen sollte die Fahrt mit dem Segelboot „Eros“ über den Schlänitzsee eine fröhliche Bootstour werden. Doch sie endete am 27. Juni 2010 als Tragödie, bei der zwei Frauen starben. Es war das schwerste Bootsunglück seit vielen Jahren auf Brandenburgs Wasserstraßen.

Mehr als zwei Jahre später ist am Dienstag der Kapitän des Frachtkahns „Moca“, der die „Eros“ an jenem Sonntag rammte, vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Am Amtsgericht von Brandenburg an der Havel – dem einzigen Gericht in der Mark für Schifffahrtsangelegenheiten – urteilte Richterin Karin Eichmann-Hoormann, sie müsse im Zweifel für den Angeklagten entscheiden: „In dubio pro reo.“ Es sei nicht sicher, ob der 49-jährige Gerhard S. den Unfall hätte verhindern können. Vielmehr liege beim Eigner des Boots „Eros“ der überwiegende Teil der Schuld, so die Richterin weiter. Selbst die anwesende Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer beantragt, den Kapitän aus Nordrhein-Westfalen freizusprechen. Nun rücken erneut die Männer der toten Frauen ins Visier der Ermittlungen.

Schon zu Beginn der Verhandlung hatte der Kapitän der „Moca“ beteuert, sich getreu den Vorschriften verhalten zu haben. Er habe das motorisierte Segelboot rechtzeitig gesehen. Im Zuge einiger Manöver – so habe er einem anderen Binnenschiff ausweichen müssen – habe er das kleine Boot auf dem Schlänitzsee, kurz hinter dem Sacrow-Paretzer-Kanal, aus den Augen verloren. Dann sei bereits der Unfall passiert. „Ich vermute, dass das Boot mittig in die Fahrrinne gekommen ist“, so der erfahrene Kapitän.

Der Potsdamer Soldat Robert M., der das Geschehen von seinem Boot aus beobachtete, sagte vor Gericht, dass das Segelboot „irgendwie komisch“ unterwegs gewesen sei. Er habe vor dem Zusammenstoß noch gepfiffen und gerufen, wollte die Bootsbesatzung warnen. Später habe er den stark am kopf blutenden Besitzer des Boots aus dem Wasser gezogen. Bei dem Zusammenprall kamen er und sein Bekannter nur knapp mit dem Leben davon. Ihre Frauen aber, eine 42-Jährige und ihre 21 Jahre ältere Mutter, die sich zum Unglückszeitpunkt in der Kajüte befanden, konnten sich nicht mehr retten.

Den Ausschlag für den Freispruch gab ein Gutachten, dass die Staatsanwältin nach eigenen Angaben erst am Dienstag erhalten hatte. In dem Papier wurde das Unglück rekonstruiert. Wie berichtet hatte der 80 Meter lange Frachtkahn gegen Mittag mit dem Bug die zehnmal kleinere Yacht gerammt und war über das Boot gefahren. Der Gutachter stellte fest, das Unglück wäre auch nicht verhindert worden, wenn der Kapitän der „Moca“ ein Notsignal gegeben hätte, als die „Eros“ im toten Winkel knapp 200 Meter vor seinem Schiff verschwand. Vielmehr hätte das kleine Boot nach geltendem Schifffahrtsrecht ausweichen müssen, auf Binnengewässern gelte der Vorrang des Güterverkehrs und es müsse Abstand gehalten werden. Daher seien von der „Eros“-Besatzung Sorgfaltspflichten verletzt worden.

Die Staatsanwältin pflichtete bei, die Bootsführer des Segelboots hätten den Blick zurück unterlassen und so das nahende Schiff übersehen. Dies hatte auch der 62-jährige Eigner des Segelboots, Reiner P., vor Gericht eingeräumt. Und mehr noch: Er habe seinen 67 Jahre altem Bekannten ans Ruder gelassen, obwohl dieser keinen Bootsführerschein besitze. Probleme habe es im Vorfeld nicht gegeben. Er habe sich sicher gewähnt, sagte Hobbyskipper P. – schließlich sei es auch im Straßenverkehrsrecht so, dass wer von hinten komme, ausweichen müsse, behauptete der Zeuge. Zudem sei sein Boot „Eros“ nur maximal neun Kilometer pro Stunde gefahren, da er davon ausgegangen sei, dies sei die erlaubte Maximalgeschwindigkeit. Tatsächlich zulässig waren aber 12 Kilometer pro Stunde – so rauschte der Frachter „Moca“ mit mindestens 50 Meter pro Minute auf die „Eros“ zu.

Auch gegen die Männer auf dem Segelboot hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam bereits wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, im Fall von Reiner P. das Verfahren aber bereits eingestellt. Ob die Sache nun neu aufgerollt wird, konnte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Christoph Lange, auf PNN-Anfrage noch nicht sagen. Lange sagte aber, von Amts wegen müsse in einem Verfahren neu ermittelt werden, wenn bisher unbekannte Beweise wie ein Gutachten auftauchen. Dann könne auch die Einstellung eines Verfahrens widerrufen werden.

Die letzten Worte am Dienstag hatte der freigesprochene Kapitän S. Mit den Tränen kämpfend sagte er, nach Jahrzehnten zur See passe der Unfall noch immer nicht in sein Weltbild, sei „eine kleine Katastrophe“, für die er sich entschuldigen wolle: „Ich fühle mich jetzt nicht besser.“

Derweil verließ „Eros“-Besitzer Reiner P. wütend den Gerichtssaal. Vor Journalisten sagte er, er wolle das Urteil anfechten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })