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Homepage: Ein gesamtdeutsches Problem

Am Mendelssohn-Zentrum entsteht ein Rechtsextremismus-Handbuch

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„Nazis raus den Köpfen!“, fordert die Linkspartei. Wie aber kommen Fremdenhass, Gewaltbereitschaft, Rechtsextremismus und ausgeprägte Intoleranz überhaupt erst in die Denkstrukturen so vieler Menschen in unserem Land? Eine Schlüsselfrage, an der sich Pädagogen, Soziologen, Politologen und Kriminalforscher nicht erst seit gestern reiben. Gerade im Land Brandenburg, Potsdam inbegriffen, wächst der Analyse- und Handlungsbedarf.

Nahezu täglich gebe es Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, so der Politikwissenschaftler Gideon Botsch, der gemeinsam mit Christoph Kopke am Moses Mendelssohn Zentrum an der Uni Potsdam (MMZ) einen Forschungsschwerpunkt „Regionaler Rechtsextremismus“ eingerichtet hat. Botsch und Kopke waren jahrelang in der politischen Bildungsarbeit tätig. Woraus sich auch ihr jetziges Ziel ableitet: Fundierte Analysen zum Rechtsextremismus in Brandenburg, die eine möglichst breite Öffentlichkeit erreichen und die zugleich erfolgreiche zivilgesellschaftliche Gegenstrategien beschreiben sollen.

Brandenburg selbst, da machen sich die jungen Wissenschaftler keine Illusionen, hält in Bezug auf rechtsradikale Umtriebe einen bundesweiten Spitzenplatz – und das, obwohl umfängliche Förderprogramme gegen Ausländerfeindlichkeit längst aufgelegt und durchdachte Präventionsstrategien von Fachleuten, Ehrenamtlichen, Politikern und Bürgerrechtlern auf lange Sicht entwickelt wurden. „Man kann der Landesregierung nicht vorwerfen, dass sie die Augen vor dem Problem verschließt,“ attestiert Gideon Botsch. Brandenburg spiele mit dem Verein Opferperspektive eine Vorreiterrolle, auch gab es frühzeitig die mobile Beratung gegen Rechts. Moderne polizeiliche Präventionsstrategien kommen zur Anwendung, und die Staatsanwaltschaften sind an einer zeitnahen Strafverfolgung interessiert. Dennoch würden sich rechtsextreme Straftaten und Einstellungen auf kontinuierlich hohem Niveau halten. „Zu Gewalt auf der Straße kommt es immer wieder, und die so genannte Kameradschaftsszene vernetzt sich zunehmend effizienter“, so Botsch.

Botsch und Kopke sprechen aber auch von individueller Zivilcourage, von Solidarisierung mit Opfern und Bedrohten und von engagierten lokalen Bündnissen gegen rechte Gewalt – sei es in Eberswalde oder Potsdam, in Cottbus oder Eisenhüttenstadt. Erfahrungen von lokalen Initiativen werden ganz bewusst in die erste Publikation einfließen, welche die beiden MMZ-Forscher noch im ersten Halbjahr 2007 gemeinsam vorlegen wollen: Ein Handbuch zum Umgang mit Rechtsextremismus in Brandenburg. „Wir können keinen Königsweg aufzeigen, wie das Problem lokal und überregional in den Griff zu bekommen ist“, erläutert Christoph Kopke. „Aber das Handbuch soll eine gute Arbeitsgrundlage vor allem für jene Menschen bieten, die durch ihre berufliche, politische oder sonstige öffentliche Position mit dem Thema konfrontiert werden.“ In kompakter Weise soll erklärt werden, welche Absichten und Strategien die organisierten Rechtsextremen verfolgen, wenn sie in brandenburgischen Städten und Kommunen offensiv agieren.

Gleichzeitig wird über Möglichkeiten der rechtlichen Intervention informiert, werden transparente Beispiele benannt, wie man als Zivilgesellschaft oder auch als politisches Bündnis gegensteuern kann. „In jeder Schule und Polizeiwache, jedem Bürgermeisteramt und jeder Jugendeinrichtung soll man auf so ein Handbuch zurückgreifen können“, sagt Christoph Kopke.

Dies aber ist nur der erste Schritt des Projektvorhabens. Langfristig bereiten die Forscher eine empirische Analyse vor, welche die bestehenden Interaktionen zwischen Brandenburgs rechter Szene einerseits und den Reaktionen staatlicher wie zivilgesellschaftlicher Kräfte andererseits untersucht. „Es wird unumgänglich sein“, so Gideon Botsch, „dabei die Entwicklungspfade des Rechtsextremismus in zeithistorischer Perspektive zurückzuverfolgen, in manchen Fällen sogar bis in die Zeit vor 1989.“ Man plane lokale Fallstudien, bei denen Dokumentanalysen ebenso notwendig sind wie Experteninterviews vor Ort.

Nicht zufällig ist der neue Forschungsschwerpunkt kombiniert mit Lehrveranstaltungen an der Universität Potsdam. „Das gegenwärtige Proseminar über die extreme Rechte besuchen etwa 40 Studierende“, berichtet Gideon Botsch. Ein Teil der Studenten äußere den ausdrücklichen Wunsch, auch an den lokalen Analysen mitzuarbeiten. „Das ist umso verständlicher, wenn die Kommilitonen aus Orten kommen, in denen rechte Gewalt zu einer tatsächlichen Herausforderung geworden ist.“ Für das Sommersemester plant man gemeinsam mit MMZ-Direktor Julius Schoeps ein Kolloquium, das den internationalen Forschungsstand zu Rechtsradikalismus und Neonazismus reflektiert und auf neue Erkenntnisse in der Antisemitismusforschung eingeht.

Gideon Botsch und Christoph Kopke bemühen sich um unvoreingenommene Ansätze, Polarisierungen und einseitige Darstellungen wollen sie vermeiden. „Natürlich kämpfen die neuen Bundesländer am ärgsten mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit“, sagt Botsch. Doch No-Go-Areas finde man ebenso im Westen. „Machen wir uns nichts vor: Die Akzeptanz rechter Kultur in der gesellschaftlichen Mitte ist ein gesamtdeutsches Problem“, sagt Botsch.

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