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Landeshauptstadt: Ein Gesicht für unbekannte Tote

1. Internationale Konferenz zur Gesichtsweichteil-Rekonstruktion im Seminaris Hotel

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1. Internationale Konferenz zur Gesichtsweichteil-Rekonstruktion im Seminaris Hotel Von Karsten Sawalski Der Tod ist keine Männersache. Im halb abgedunkelten Plenarsaal des Seminaris Hotels sitzen die Geschlechter etwa gleich verteilt, und Ursula Wittwer-Backofen vom Institut für Humangenetik und Anthropologie der Universität Freiburg zeigt die schrecklichsten Fotos: Auf der Videoleinwand wechselt das Bild von einer unbekannten, halb-verwesten Leiche, die auf einem polierten Edelstahltisch liegt zu einer stark aufgedunsenen Wasserleiche, dem so genannten „Toten aus Rerik“. Die Professorin zeigt während der 1. Internationalen Konferenz zur Gesichtsweichteil-Rekonstruktion vom 10. bis 12. November in Potsdam vor Polizeibeamten und Wissenschaftlern aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Tschechien, Lettland und vielen anderen europäischen Ländern , wie eine Rekonstruktion per Videosimulation funktioniert. Auf der Leinwand erscheint ein Porträtfoto von einem Mann, dass aus den Archiven der Kriminalämter als durchschnittliches Ausgangsgesicht ausgewählt wurde. Unter das Foto werden – wie von Geisterhand – die Schädelumrisse des unbekannten Toten geschoben, die so durch das lebendige Antlitz von „Herrn Mustermann“ durchscheinen. Mit allen zuvor gesammelten Informationen über den Unbekannten und einer speziellen Software lassen sich alle Gesichtspartien des Durchschnittstypen verschieben und verändern bis alles deckungsgleich mit dem gesuchten Schädel übereinstimmt. Dieses „Endgesicht“ kann über die Medien verbreitet und mit Aufnahmen vermisster Personen verglichen werden. „Bisher kommen wir nur bis zu einer Typenähnlichkeit“, sagt die Kriminalbeamte Hilja Hoevenberg vom Landeskriminalamt Brandenburg, das Problematische seien Auge, Nase und Mund des unbekannten Toten, für die es bisher noch keine Feinbestimmung gibt. Hoevenberg erhofft sich einen regen Austausch mit den Kollegen und Experten auf dieser ersten Internationalen Konferenz, um „Ergebnisse auszutauschen und die Forschung voranzutreiben“. Die Beamtin, die auch als Ermittlerin tätig ist, gibt die Statistik für Brandenburg bekannt: „Wir haben 86 nicht identifizierte Fälle, davon sind 23 Straftaten und 24 Fälle nicht geklärt; wir haben 19 unbekannte Leichen, die bei einer Grenzüberschreitung ertrunken sind.“ Die Gesichtsweichteil-Rekonstruktion kann die Ermittlung weiter führen, wenn kein Vergleichsmaterial für eine Analyse des Erbgutes mehr greifbar ist und keine Weichteile mehr vorhanden sind, um Fingerabdrücke abzunehmen. Beschädigungen am Schädel des Toten erschweren dessen Identifikation, während schon Reste von Haarteilen einen Rückschluss auf die Frisur des Unbekannten geben können. Die Kriminalbeamtin verlässt sich bei der Ermittlung nicht nur auf die neueste Technik: „Am Computer erkennt man nicht die Oberflächenstruktur der Knochen oder die der Zähne“, an denen man Verhaltens- und Krankheitsmuster ablesen könne. Die Rekonstruktion baut auf die möglichst umfangreiche Dokumentation vom Toten und des Fundortes auf. „Diese Daten müssen dann wie in einem Puzzle zusammen gebracht werden“, sagt Hoevemann. Für die eigentliche Rekonstruktion zieht die Beamtin Fachärzte hinzu, die Auskunft über Krankheitsmerkmale geben können. Und das täglich? „Ich habe keine Probleme mit Leichen“, sagt Hoevemann, „aber es beschäftigt mich. Man bekommt ein anderes Verhältnis zu Leben und Tod“.

Karsten Sawalski

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