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Landeshauptstadt: Ein Krieg, der nicht erklärt wird

Kapitän der „Cap Anamur“ sprach über seine Rettungsaktion vor Sizilien

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Die Stimme stockt dem ehemaligen Kapitän der „Cap Anamur“, als er die lang erkämpfte Hafeneinfahrt im sizilianischen Porto Empedocle schildert: „Wir standen auf der Brücke und haben geweint“, erzählt Seemann Stefan Schmidt sichtlich bewegt im Kulturzentrum Al Globe in der Charlottenstraße.

Der Flüchtlingsrat des Landes Brandenburg hatte Schmidt zusammen mit Elias Bierdel, dem ehemaligen Chef der Hilfsorganisation Komitee Cap Anamur, am Montag Abend zur Lesung nach Potsdam eingeladen. Schmidt und Bierdel waren im Sommer 2004 in die Schlagzeilen geraten, als sie zwölf Tage lang mit der „Cap Anamur“ vor der italienischen Küste kreuzen mussten, ehe ihnen der Landgang erlaubt wurde. Grund für die „Probleme“ waren 37 afrikanische Flüchtlinge, die der Kapitän mit an Bord genommen hatte. Bierdel hat die Ereignisse des Sommers 2004 jetzt in einem Buch zusammengefasst.

In fast privater Runde erinnert sich Kapitän Schmidt in Potsdam an den Sonntagnachmittag im Juli 2004, als er das Flüchtlingsboot erblickte: 50 Kilometer vom Land entfernt trieb es „mit qualmendem Motor“. „Wir konnten uns das gar nicht vorstellen“, beschreibt er seinen Eindruck. Denn es handelte sich um ein Schlauchboot, „eigentlich für einen See, nicht die hohe See“ gebaut. Das Boot war „eingeknickt“, hatte bereits Luft verloren. „Jemand winkte mit einem roten Hemd“, erzählt Schmidt. Keine Frage für den Kapitän: Die Schiffbrüchigen müssen gerettet werden. Dass den 37 Männern vom italienischen Innenministerium danach der Status als „Schiffbrüchige“ aberkannt wurde, gehört zu einer Reihe absurder Ereignisse, mit denen Schmidt und Bierdel während ihrer Rettungsaktion konfrontiert wurden.

Auf ein glückliches Ende der Rettungsfahrt warten die beiden bis heute. Während 35 der geretteten Flüchtlinge Italien wieder verlassen mussten, beginnt für Schmidt und Bierdel am kommenden Montag das juristische Nachspiel: Sie müssen sich im sizilianischen Agrigento zusammen mit dem ersten Offizier des Schiffes wegen „Beihilfe zur illegalen Einreise“, „in besonders schwerem Fall“ verantworten. Als „krimineller Schlepperbande“ droht ihnen eine Haftstrafe von bis zu zwölf Jahren.

„Es ist für mich bis heute unfassbar, wie man daraus etwas Unrechtmäßiges machen kann“, meint Bierdel rückblickend. Er sieht in dem Verfahren einen „politischen Prozess“. Deshalb suche er „soviel Öffentlichkeit wie möglich“. Der Journalist kündigte an, auf seiner Internetseite Prozesstagebuch zu führen.

Dass Flüchtlinge mit seeuntauglichen Holz- oder Schlauchbooten die Fahrt übers Mittelmeer wagen, sei weiterhin an der Tagesordnung, sagte Bierdel. 8000 Flüchtlinge seien bereits auf dem Mittelmeer gestorben. Die Zahl stamme aus einer Zählung aller offiziellen Meldungen. Die europäische Abschottungspolitik verschärfe sich zunehmend, mahnt Bierdel: „Dort draußen hat ein Krieg begonnen, der nicht erklärt wird.“ Bierdel berichtet von einem Vorfall vom 18. Oktober 2006: Damals seien 40 Flüchtlinge ertrunken, nachdem ihr Boot vom italienischen Militärschiff „Minerva“ gerammt worden war. JaHa

Elias Bierdel: Ende einer Rettungsfahrt. Das Flüchtlingsdrama der Cap Anamur. Verlag Ralf Liebe. Preis: 19,80 Euro.

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