"Jahrhundertschritt": „Ein Kunstwerk der Deutschen“
Hasso Plattner zeigt auf dem Kutschstallhof den „Jahrhundertschritt“. Er ist Mahnmal und für Potsdam zugleich Hoffnung – auf die neue Kunsthalle.
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Seine Neugier war groß. Schon am Samstag, einen Tag vor der offiziellen Einweihung, hatte er im Kutschstallhof vorbeigeschaut. Er wollte unbedingt sehen, wie er dort steht, der „Jahrhundertschritt“, wie er wirkt. Was er sah, beeindruckte ihn: Menschen, die davor verharrten, die fünf Meter hohe Skulptur betrachteten, darüber diskutierten. Das, sagt Hasso Plattner, sei genau das, was er wolle.
Dieser „Jahrhundertschritt“ gehört Plattner. Der SAP-Gründer und Mäzen hat das monumentale Exemplar der Plastik des Künstlers Wolfgang Mattheuer für seine Sammlung ostdeutscher Kunst erworben und zeigt sie nun der Öffentlichkeit. Im Kutschstallhof am Neuen Markt, auf seinem eigenen Grund und Boden, wie Plattner betont – „hier kann mir keiner etwas, ich muss mich nicht rechtfertigen“ – ist sie aufgestellt. Am Sonntagvormittag wurde sie enthüllt, rund 200 Potsdamer kamen zum kurzen Festakt. Bis Plattners geplante Kunsthalle fertig ist, so die Sprachregelung, werde die Skulptur dort stehen bleiben.
„Es ist ein Kunstwerk der Deutschen, nicht nur der DDR“, sagt Plattner zur Einweihung. „Es ist eine Symbolik, in der wir uns alle wiederfinden.“ Er betont, was ihm daran gefällt: Der weite Schritt des nackten Beins nach vorn, er weise „in eine gute Zukunft“. Es sei wahrlich außergewöhnlich, sagt Plattner, dass „eine Skulptur so gut ausdrückt, was mit uns passiert ist im vergangenen Jahrhundert“. Mattheuer, der 2004 verstarb, schuf eine Diktatur-Plastik. Bereits 1984 stellte er sie dreidimensional fertig, wie sein Galerist und Freund Karl Schwind berichtet. Die Figur reckt die rechte Hand zum Hitlergruß, die linke ist in die Höhe gestreckt und zur Arbeiterfaust geballt. Am linken Oberarm und am Uniform-Bein, das nach hinten abgeknickt ist, befinden sich rote Streifen, Blutspuren. Sechs Abgüsse gibt es, alle nur halb so groß wie das Exemplar, das jetzt im Kutschstallhof steht. „Ich bin sicher, Mattheuer wäre heute sehr glücklich gewesen“, sagt Galerist Schwind. Der Sohn des Künstlers, Richard Brüx, bestätigt dies. „Ja, mein Vater wäre glücklich darüber.“ Es sei ein großer Erfolg, dass die Skulptur in dieser Größe gegossen und nun auch aufgestellt werden könne, sagt der zurückhaltende 46-Jährige, der in Leipzig lebt.
Für Potsdam ist der „Jahrhundertschritt“ jedoch nicht nur Mahnmal, sondern auch „die Eröffnung einer Perspektive, die in Bronze gegossen vor uns steht“, wie Kurt Winkler es sagt, der Direktor des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG), das sich im Kutschstallhof befindet. So soll der „Jahrhundertschritt“ Vorbote sein für die Kunsthalle, die Plattner ursprünglich anstelle des Hotel Mercure errichten wollte. Nach hitziger Debatte um den Abriss des ehemaligen DDR-Interhotels und Ansprüchen an einen modernen Neubau zog Plattner sich jedoch aus dem Stadtzentrum zurück. Nun will er die Kunsthalle auf seinem Grundstück am Jungfernsee, ehemals Areal der Grauen Kasernen, bauen.
Die Hoffnung, dass der Mäzen sich doch noch anders entscheiden könnte, haben einige Potsdamer dennoch nicht aufgegeben. Im Kutschstallhof hält ein Mann eine Pappe hoch, auf der „Kunst statt Mercure“ steht. Und Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) spricht in seiner Rede zweimal von der Kunsthalle, die „wo auch immer dann eröffnet werden wird“. Applaus gibt es dafür vom Publikum allerdings nicht, nur Lacher.
Plattner selbst gibt sich zugeknöpft, was die Causa Kunsthalle angeht. Es gebe dazu nichts Neues zu berichten. Er werde am Jungfernsee bauen, erst einmal aber seine Sammlung ostdeutscher Kunst – sie umfasst bisher rund 30 Werke – erweitern. Einen Zeitpunkt, wann die Kunsthalle eröffnet werden könnte, nennt Plattner nicht. Schließlich türmten sich auf dem Campus am Jungfernsee derzeit die Sandberge, sagt er. Das von ihm mitgegründete Welt-Unternehmen SAP baut dort sein Innovationszentrum.
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