
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Ein Mann, der niemals stehen bleiben will Olympiasieger Hartwig Gauder berichtete in Potsdam über sein Leben mit dem dritten Herzen
Zwei Jahre nach einer Herztransplantation bestritt Hartwig Gauder den New York Marathon und bestieg im Jahre 2003 bei Sturm und Regen den 3776 Meter hohen Fujisan in Japan. Der Berg ist auch unter dem Namen Fujijama bekannt, der auf einen Übersetzungsfehler zurückgeht.
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Zwei Jahre nach einer Herztransplantation bestritt Hartwig Gauder den New York Marathon und bestieg im Jahre 2003 bei Sturm und Regen den 3776 Meter hohen Fujisan in Japan. Der Berg ist auch unter dem Namen Fujijama bekannt, der auf einen Übersetzungsfehler zurückgeht. Seine Erfahrung mit der Herz-Odyssee: „Der Mensch kann sich immer wieder einholen, auch wenn das Herz nur noch 16 Prozent leistet.“ Wie ihm das gelang, erzählte der 58-jährige Supersportler in einer Sonntagsvorlesung der Europäischen Akademie für Gesundheitsprävention im Seminaris Seehotel in der Pirschheide.
„Es fiel ein Schatten auf mein Leben“, sagte der Olympiasieger im 50 Kilometer Gehen in Moskau 1980, Weltmeister von Rom 1987 und bis 1993 aktiver Leistungssportler, als er die Hiobsbotschaft erhielt, dass er nur durch eine Transplantation zu retten sei. Ursache war, wie er sagt, eine Myokartitis, eine Entzündung des Herzmuskels, mit der er im März 1995 zum Arzt ging: „Da war es zu spät.“ Dopingmittel habe er nie genommen. Eine Bakterien- oder Vireninfektion soll den Zerstörungsprozess ausgelöst haben.
Gauder erhielt zunächst ein Kunstherz „in den Bauch“ mit einer Leitung zur Steckdose. 13 Monate stand er auf der Warteliste für ein Transplantat, als seine Ärztin mit der freudigen Botschaft ins Krankenzimmer trat: „Herr Gauder, raten Sie mal, was wir haben?“ Es war das Organ eines tödlich Verunglückten aus dem Ausland, das ihm nach erfolgreicher Operation das Leben rettete.
Aufgegeben hatte Gauder nie, auch nicht in den Stunden der größten Erschütterung, als er sich „abgeschnitten von der Welt“ fühlte. Bis an die Grenzen gehen, den Schmerz nach der Niederlage und die Freude nach dem Sieg empfinden – das habe er im Leistungssport erfahren. Eine Inschrift an der Erfurter Kinder- und Jugendsportschule, in die er mit 17 Jahren kam, sei ihm im Gedächtnis geblieben: „Lerne leiden ohne zu klagen.“
Gauder wird nicht müde, auf die Eigenverantwortung sowohl beim Umgang mit dem eigenen Leben, beim einsamen Lauf auf der Landstraße als auch mit der Krankheit und mit den Medizinern zu verweisen. „Die Belastung ist das, was wir brauchen und wenn es Übungen auf dem Teppich sind.“ Das Bild aus der Klinik zeigt ihn als kraftlosen dünnen Mann. „Ich musste wieder laufen lernen“, sagt der Profi-Geher. Er habe jeden Tag und jede Woche geplant, um gegen den Leistungsverlust anzugehen. Sein Wahlspruch: „Fürchte dich nicht langsam zu gehen, fürchte dich stehen zu bleiben“.
Wichtig sei es, Ärzte zu finden, die ihr Handwerk verstehen. Er selbst musste gegen eine Krankenhaus-Sepsis ankämpfen und bei einer Katheteruntersuchung war 2009 ein bedrohlicher Herzklappenschaden entstanden. Trotz großer Selbstdisziplin gelte: „Man muss einfach ein bisschen Glück haben.“
Schon eine Viertelstunde vor Gauders Vortrag waren alle Stühle im Seminaris-Hotel besetzt. Das Management musste noch 50 Sitzgelegenheiten bringen lassen. Als Moderator war Sportreporter-Legende Heinz Florian Oertel angekündigt. Doch der Organisator der Sonntagsvorlesungen, der ehemalige Lauftrainer Jürgen Bruns, verkündete, dass der 85-jährige Oertel abgesagt habe. Als Grund nannte Bruns eine Sepsis, also eine Infektion durch Mikroorganismen, die sich Oertel eingefangen habe.
Ein Zuhörer fragte nach dem Vortrag: „Woher kommt Ihre Rastlosigkeit, den Marathon zu laufen oder auf den Fuji zu steigen, woher nehmen Sie die Kraft? Wenn ich das durchgemacht hätte wie Sie, würde ich erst mal alle Fünfe gerade sein lassen.“ Gauder war das Unverständnis über die Frage anzumerken: „Welche Alternative hätte ich denn gehabt?“ Zielstrebigkeit, nicht Rastlosigkeit sehe er als natürliche Aufgabe des Lebens. Deshalb treibe er jeden Tag eine bis anderthalb Stunden Sport. „Ich habe es gestern Abend genossen, in den Templiner See zu steigen und die Natur zu genießen“, berichtet er den bewundernd raunenden Zuhörern. Mit Zielstrebigkeit habe er, der nach der Transplantation vor dem beruflichen Nichts stand, erfolgreich ein Architekturstudium abgeschlossen und sich eine neue Existenz geschaffen. „Wenn ich nur noch ein Jahr zu leben hätte, würde ich nichts anderes machen als heute.“
Über 15 Jahre lebt Hartwig Gauder nun mit dem neuen Herzen. Er berichtete von einem US-Amerikaner, der 23 Jahre mit einem Spenderherzen lebte. Dieser sei gestorben, nachdem ihn ein Lastwagen überfahren hatte. „Ich muss auf jeden Fall Lastwagen meiden“, so Gauder ungewohnt sarkastisch. Günter Schenke
Günter Schenke
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