Homepage: Ein Meilenstein
15 Nobelpreisträger, führende Klimaforscher, Bundeskanzlerin Merkel und ein Memorandum im Schlosstheater
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Es gibt Momente, die sind einfach anders. Etwa dann, wenn Menschen zusammentreffen, die etwas ganz Besonderes zu sagen haben, wenn über Dinge gesprochen wird, die die Welt verändern könnten, oder eben nicht. Das Schlosstheater im Neuen Palais ist ohnehin so ein Ort, an dem man das Gefühl bekommt, in einem inneren Zirkel abzutauchen. Wenn sich in diesem düsteren Rokoko-Refugium fünfzehn Nobelpreisträger und führende Klimaforscher aus aller Welt treffen, um vor dem nächsten Klimagipfel in Bali von Potsdam aus eine Botschaft in die Welt zu bringen, dann ist dies solch ein anderer Moment. Als würde der Lauf der Dinge kurz aufgehalten, um die Weichen neu zu stellen.
Etwas Pathos sei einem solchen Treffen schon angemessen, stellte auch der Chef des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Hans Joachim Schellnhuber gestern fest. Er war es, der die Denker zusammengeführt hat. „Eine meiner schwierigsten Aufgaben“, verriet er. In dem Memorandum, das heute verabschiedet werden soll, werde voraussichtlich festgehalten, dass der derzeitige Zustand der Erde ohne Analogie ist. Der globale Klimawandel erfordere in seiner galoppierenden Beschleunigung eine klare Handlungslinie von Klimaschutz über Energiesicherheit bis zu einer nachhaltigen Entwicklung. Dazu brauche man auch eine globale Zielvereinbarung.
Die Nobelpreisträger hatte Schellnhuber zu diesem Treffen eingeladen, weil sie unabhängig von einer wissenschaftlichen Karriere frei über das Problem nachdenken können. Eine „kritische Masse“ habe Schellnhuber hier in Potsdam versammelt, sagte Prof. Carlo Rubbia, der 1984 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden war. Das Treffen in Potsdam sei ein wichtiger Meilenstein im Prozess des Klimaschutzes. Durch Bevölkerungswachstum und Treibhauseffekt sei die Erde in eine äußerst kritische Phase geraten. Der Schlüssel für das Problem sei die Wissenschaft. „Wir müssen vollkommen neue Lösungen finden“, sagte der Experte für Energietechnologie. Er sei optimistisch, dass dies möglich ist, etwa durch Sonnenenergie, aber auch durch neue Wege der Kernenergie.
Niemand auf dem Symposium zweifelte noch daran, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird, dass die Weltbevölkerung vor einem essentiellen Umbruch steht. Eine Herausforderung, wie es sie noch nicht gegeben hat. Und es wurde deutlich, was für eine Kehrtwende das ablaufende Jahr 2007 markiert. Der UN-Klimabericht hat die Welt aufgerüttelt, in Heiligendamm wurden die Hürden höher gelegt als je zuvor, Europa schwingt sich zum Vorreiter in der Klimapolitik auf, und die Bush-Administration wird vom Saulus zum Paulus.
Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess spielt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Schlosstheater wurde sie gestern gar als weltweit einflussreichste Frau gehandelt. Merkel steht für den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, ist sie doch selbst Physikerin. In Potsdam hielt sie zu dem Symposium eine lückenlos überzeugende Rede. Klare Worte, die durch Kompetenz und Detailwissen untermauert waren. Einer der ersten ergreifenden Momente gestern Vormittag war der brandende Applaus, den die Forscher Merkel für ihre Worte spendeten.
Gerade aus Afrika kommend, war Merkel voll von Eindrücken, von Armut und Dürren, davon, dass die dortigen Entwicklungsländer als erste von den Folgen der steigenden Temperaturen heimgesucht werden, während die Industriestaaten doch diejenigen sind, die hauptsächlich für die Emission der Klimagase verantwortlich sind. Der zweite ergreifende Moment dann als Friedensnobelpreisträgerin Prof. Wangari Muta Maathai aus Nairobi per Satellit zugeschaltet wurde. Mit Merkel trat sie in einen Dialog, der von Nähe und gegenseitiger Wertschätzung zeugte. Wie auch andere der anwesenden Nobelpreisträger forderte Maathai ein globales Vorgehen. Zwar müssten die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels Verantwortung tragen und mit technischen Innovationen als Vorbilder vorangehen. Aber auch Afrika sei in der Pflicht. Seit Jahren engagiert sich Maathai für die Wiederaufforstung. In Potsdam wurde deutlich, welch große Bedeutung beim Klimaschutz dem Stopp der Abholzungen zukommt, absorbieren doch die Bäume das Klimagas Kohlendioxid. Die Friedensnobelpreisträgerin kämpft gegen die Abholzung des Kongowaldes. Sie sprach von einem ethischen Ansatz und von „Kohlenstoffgerechtigkeit“. „Wir sind bereit, Partner zu werden im Kampf gegen den Klimawandel“, war aus Nairobi zu hören.
Womit sich Maathai mit Merkel traf, die einen weltweiten Kohlenstoffhandel forderte. Die Kanzlerin sprach von der großen Chance, die in einem gemeinsamen, globalen Handeln liege. Weiß sie doch auch von den Gefahren, die drohen, wenn nicht gehandelt wird: Wanderungsbewegungen ungekannten Ausmaßes, Verteilungskämpfe und Kriege. Für Merkel ist klar, dass der Klimawandel eine, wenn nicht sogar die zentrale Zukunftsfrage der Menschheit ist.
Einig war man sich gestern im Schlosstheater schließlich, dass Kohlendioxid einen global einheitlichen Preis bekommen müsse. Eine offene Frage allerdings, wie das ökonomisch zu bewerkstelligen ist. Der europäische Emissionshandel wurde hier als Vorbild genannt. Doch das Umdenken, das der Klimawandel erfordert, wird Zeit brauchen. Denn die Wirtschaft müsse begreifen, dass es wesentlich teurer komme, wenn heute nicht gehandelt wird, dass Wachstum nicht ohne Klimaschutz möglich sein wird, und umgekehrt. Auch der Verfasser der Stern-Review, Nicholas Stern, war nach Potsdam gekommen. Von ihm geht die Botschaft aus, dass schon ein Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes ausreiche, um den Klimawandel aufzuhalten. „Wenn wir 30 Jahre warten wird es sechs mal so viel kosten“, so Stern.
Die zentrale Botschaft dann gestern: Wir können nicht mehr so weitermachen, wie bisher, jetzt muss umgesteuert werden. In Bali muss die Nachfolge von Kyoto geregelt werden, globalen Institutionen wie den Verneinten Nationen kommt eine Schlüsselrolle zu, die USA müssen mit ins Boot geholt werden.
Nobelpreisträger Prof. Mario Molina war nicht der einzige, der höhere Investitionen zur Entwicklung neuer Technologien forderte. Ausgaben, die zur Lösung des Energieproblems beitragen könnten. Dass dies gar nicht so schwer sein dürfte, hatte Prof. Carlo Rubbia schon am Vortag an der Potsdamer Universität verraten. Denn nach Erkenntnis des Nobelpreisträgers reiche ein 210 Quadratkilometer großes Areal in der Sahara (0,13 Prozent der Wüstenfläche) aus, um mit Hilfe der Sonnenenergie den globalen Energiebedarf zu decken. Dazu müsse nur eine neues Verfahren entwickelt werden. So einfach ist das.
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