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Umzug für 150 Menschen. Eine Woche lang wird der Lkw zwischen altem und neuem Flüchtlingsheim pendeln.

©  Manfred Thomas

Von Juliane Wedemeyer: Ein Möbelwagen für 20 Menschen

Die ersten Flüchtlinge sind gestern aus dem Lerchensteig an den Schlaatz gezogen – ohne große Zwischenfälle

Stand:

Am Schlaatz - Zwei Polizisten beobachten den Umzug. Seit Mittag stehen sie auf dem Parkplatz des Getränkemarktes an der Alten Zauche, direkt gegenüber des frisch sanierten Plattenbaus, der das neue Asylbewerberheim beherbergen soll. Sie stehen dort auch, weil vor einigen Wochen die rechtsextreme NPD Flugblätter gegen den Umzug der Flüchtlinge verteilt hatte. Aber die Polizisten sind nun die einzigen Zuschauer. Die Nazis hätten heute anderes zu tun, sagt einer der beiden. Es ist der 20. April, Hitlers Geburtstag. Die Sonne scheint, sie hat die Erdfläche vor dem Heim ausgetrocknet. Der Rasen fehlt noch. Und zwischen den ersten 20 Flüchtlingen aus Bosnien, Kenia, Pakistan und Russland, laufen Handwerker in Blaumännern herum.

In einigen Wohnungen auch noch die Herde, erklärt Wolfram Metzig, der künftig für das Diakonische Werk als Sozialarbeiter im Wohnheim arbeiten wird. Bis zum Ende der Woche würde aber alles eingebaut sein. Bis dahin sollen alle rund 150 Flüchtlinge aus dem derzeitigen Wohnheim der Arbeiterwohlfahrt im Lerchensteig an den Schlaatz gezogen sein – so wie es die Stadtverordneten beschlossen hatten. Potsdams Flüchtlinge gehörten in die Stadt, nicht an den Rand, hatte es geheißen. Ein Möbelwagen wird zweimal täglich zwischen beiden Heimen hin und her pendeln. Die meisten Asylbewerber müssen mit dem Bus, der Straßenbahn oder auf dem Fahrrad die zehn Kilometer vom Lerchensteig ins Plattenbaugebiet fahren.

Dort warten gerade zwei Familien aus Bosnien im Büro der Leiterin Christiane Wahl auf ihre Schlüssel. Sie werden auch einen Blumentopf mit Miniefeu als Begrüßungsgeschenk erhalten. Draußen vor der Tür ist der Möbelwagen eingetroffen, aber die Besitzer des Inhalts noch nicht. Der Lkw-Fahrer öffnet trotzdem die Klappe seines Anhängers. Justus und Kevin aus Kenia packen ihn aus: Kisten, Kinderstühle, ein Doppelstockbett, voll gestopfte blaue Müllsäcke, ein Fernseher, ein CD-Regal, Ein Topf mit etwas Flüssigem. Sie tragen alles in den Hausflur. „So viele Sachen, so wenig Platz“, sagt Justus mit einem Seufzer. Vor einem dreiviertel Jahr floh er aus politischen Gründen aus seiner afrikanischen Heimat. Er werde nur mit einer Tasche umziehen. Aber erst am Freitag. „Heute helfe ich nur.“ Auch Metzig hilft auspacken. Heute würden die Familien umziehen, da gebe es mehr Gepäck. An den übrigen Tagen würden viele wie Justus t nur einen Koffer mitnehmen. „Da passen die Dinge von 20 Menschen in einen Anhänger.“

Eine Bosnierin mit Kinderwagen sucht ihre Sachen. Sie sind nicht dabei. Was sie mitnimmt in ihr neues Zuhause? Sie zupft an ihrer Strickjacke. Nur Kleidung soll das wohl heißen. Die Zimmer an der Alten Zauche sei das Nötigste ohnehin vorhanden, sagt Wolfram Metzig, Schränke, Betten, Tisch und Stühle, sogar Geschirr, Besteck und Pfannen und Töpfe. „Alles neu. Die Familie der Bosnierin will gleich im neuen Heim schlafen. Sie fragt den Lkw-Fahrer im gebrochenem Deutsch nach ihren Kisten. „Liebe Frau, ich weiß auch nicht, wann ich sie hertransportiere“, sagt er. Er bleibt freundlich. Auch als ein Mann ihn wütend anschreit: „Wo meine blaue Tüte?“

Mittlerweile sind die Besitzer der Lkw-Ladung eingetroffen. Die Familie von Aznor Woziev aus Russland gehört dazu. Aznor, ein junger Mann mit großen, braunen Augen beugt sich über einen weißen Blumenkasten aus Plastik. Zu sehen ist darin nur schwarze Erde. „Astern“, sagt Woziev. Blumen seien sein Hobby. Im Lerchensteig hatte er einen Garten vor der Tür, am Schlaatz hat er jetzt einen Balkon. Ihn werden die Astern später schmücken. Er zeigt auf die oberste Fensterreihe des Hauses: „Dort, vierter Stock – da wohnen wir.“ Seine Frau und die beiden Kinder, vier und acht Jahre alt werden sich zwei Zimmer, Küche und Bad teilen. Seiner Jüngsten Lisa gefällt es. Aznor, der noch vor zwei Monaten Angst hatte, seine gewohnte Umgebung im Lerchensteig zu verlassen, findet die neue Wohnung jetzt o.k. Ein Spielplatz und die Kita sind gleich nebenan. Und Mohammed Khalid aus Pakistan erklärt: „Alles ist neu und sauber. Drüben war alles schon alt und schmutzig.“ Das findet auch Lilia Novakov.

Die junge Frau würde auch gern ihre Mutter am Schlaatz unterbringen, ein Flüchtling aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg. „Aber das ist alles unorganisiert hier“, sagt sie. Ihre Mutter stehe zwar auf der Liste der Awo, nicht aber auf der des Diakonischen Werks. Nun wisse niemand wo sie künftig wohnen werde.

Juliane Wedemeyer

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