Wunderkammerschiff „John Franklin“ in Potsdam: Ein Schiff zum Staunen
Das Wunderkammerschiff „John Franklin“ macht Station in Potsdam. Nach historischem Vorbild zeigt die Ausstellung Objekte aus Kunst, Wissenschaft und Natur
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Um zu den Wundern zu gelangen, muss man in den Schiffsbauch hinabsteigen. Die schmale Schiffstreppe führt in einen Raum mit dunkelrotem Teppichboden und dunkelgrünen Wänden. Geheimnisvoll leuchten die Schaukästen, die in die Wände eingelassen sind und in denen sich allerhand Wunderbares befindet. Darüber zeigen schwarz-weiße Radierungen Tintenfische, Wale, Vulkane und Inseln. Auf den Tischen in der Mitte steht ein alter Globus neben einem Fernrohr und einem ausgestopften Kakadu. So oder zumindest so ähnlich muss es in den Studierzimmern der großen Entdecker vergangener Jahrhunderte ausgesehen haben.
22 Kinder der zweiten Klassenstufe der Grundschule am Pappelhain staunen über Insekten in Schaukästen, Edelsteinkristalle und Gemälde aus farbenfrohen Muscheln. Sie sind die ersten, die die Wunderkammer betreten dürfen. Hinter den Vitrinenscheiben schimmern riesige Schmetterlinge in allen möglichen Blautönen, prachtvolle grüne Käferpanzer glänzen um die Wette. Ein ausgestopftes Gürteltier ist hier ebenso zu finden wie ein Straußenei, der Wirbelknochen eines Walfisches und ein Rosenkranz aus Elfenbein. Alina, Ida, Hannah und Leonie führen durch die Welt der Wunder, reichen die riesengroßen Samen der seltenen Seychellenpalme und tropische Muscheln von Hand zu Hand. Die vier Mädchen im Alter von 13 bis 15 Jahren gehören zu einem 30-köpfigen Team von „Wunderkammerexperten“ der Evangelischen Schule Berlin Zentrum und der „Hannah Höch“-Gemeinschaftsschule, die durch die Ausstellung führen. Ein lautes „Oh“ ertönt aus vielen Kindermündern, als Alina das intensiv blau schillernde Innere eines Meerohres präsentiert.
Die Objekte, die hier zu sehen sind, hat der Kunstsammler Thomas Olbricht zur Verfügung gestellt. „Seit 2010 existiert das Konzept bereits“, erklärt Noelle von Galen von der Stiftung Olbricht, die das Projekt in Kooperation mit der Breuninger Stiftung und der Reederei Poreka Yachtcharter ins Leben gerufen hat. Bisher gab es die Wunderkammer Olbricht im Berliner „me Collectors Room“. „Die Überlegung war nun, die Wunderkammer mobil verfügbar zu machen und die kulturelle Bildung gerade bei Kindern auch außerhalb Berlins zu fördern“, so von Galen. Der Besuch der Sammlung ist der Höhepunkt und Abschluss eines Programmes, in dem sich die Kinder mit Lehrmaterialien und einem „Logbuch“ auch im Unterricht mit den Wunderkammern beschäftigt haben. Zum Wertvollsten im Bauch des Schiffes gehört eine aufwendig gearbeitete Schatulle mit kunstvollen Schnitzereien, die aus einem Samen der Seychellenpalme im 17. Jahrhundert gefertigt wurde.
In der Renaissance und im Barock waren Wunderkammern weit verbreitet. Sie zeigten kostbare Kunstwerke, seltene Naturalien oder Objekte aus fremden Welten. Auch Studierende der Fachhochschule Potsdam (FHP) sind an dem Projekt beteiligt. „Die Wunderkammer ist die Urform aller Museen“, erklärt Detlef Saalfeld, Professor für Raum- und Ausstellungsdesign. Seinen Studierenden ist das Konzept vertraut, schließlich behandelt er es in seinen Vorlesungen. Dass sich die Initiatoren des Projekts mit ihrem Wunsch nach der Innenraumgestaltung an die Potsdamer wandten, war für ihn ein Glücksfall. „Das bedeutet, dass die theoretischen Inhalte tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden, dass man genau beobachten kann, wie das fertige Produkt funktioniert“, sagt Saalfeld.
Von der ersten Ideenskizze der angehenden Designer im Oktober 2015 bis zum fertigen Wunderkammerschiff vergingen sechs Monate. „Die Vorgaben waren recht eng gefasst“, erzählt Saalfeld. Denn die „MS John Franklin“ ist ein Fahrgastschiff, das nicht ausschließlich als Museumsschiff fungiert und Sicherheitsbestimmungen und technische Richtlinien erfüllen muss. Von der Konzeption des Ausstellungsmobiliars über Entwürfe, Präsentationen, Realisierungsplanung und der künstlerischen Baubetreuung haben die Studierenden sämtliche Prozesse durchlaufen. In die Praxis umgesetzt haben die Pläne zwei Firmen.
Für drei Jahre soll die „MS John Franklin“ nun als mobiler Museumsraum auf den Gewässern Berlins und Brandenburgs unterwegs sein. Es geht ums Entdecken, Staunen, Sammeln und auch Ausprobieren. An Deck des Schiffes hat Kapitän Stefan Vens noch eine Überraschung für die Kinder: Sie dürfen durch das Fernrohr schauen und einen Sextanten austesten. Mit dem Gerät ermitteln Seefahrer seit Jahrhunderten ihre Position. Am Ende nehmen die Kinder eine eigene kleine Wunderkammer im Streichholzschachtelformat mit nach Hause. Dinge sollen dort hinein, die ihnen wertvoll, schön oder spannend erscheinen. Auf dem Nachhauseweg beginnt sich Jasmins Schachtel zu füllen: Kleine Steine wandern hinein. Zuhause wird sich die Achtjährige ihre Schätze genauer anschauen.
Das Wunderkammerschiff ist im Potsdamer Yachthafen bis zum 22. Juni immer von Montag bis Mittwoch zu besichtigen. Mehr Infos: www.wunderkammerschiff.de.
Heike Kampe
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