Landeshauptstadt: Ein tödlicher Stich und seine Folgen
Vor einem Jahr starb der Potsdamer David Fischer: Wie die Stadt gegen Jugendgewalt vorgehen will
Stand:
Es war ein Tod, der im Rückblick unnötig, unbegreiflich und sinnlos scheint: Zwei angetrunkene Jugendgruppen streiten in einer Bar wegen eines T-Shirt-Aufdrucks. Vor der Tür geht es weiter, mit Fäusten, Tritten. Plötzlich blitzt ein Taschenmesser mit neun Zentimeter Klingenlänge auf, sein junger Besitzer sticht wuchtig zu – und trifft einen vorher äußerst aggressiven jungen Mann so in die Brust, dass dieser mitten auf der Charlottenstraße innerlich verblutet. So sah das Potsdamer Landgericht die Ereignisse in der Nacht vor einem Jahr, am 17. Juli 2006. Damals starb der 20-jährige David Fischer auf der Charlottenstraße. Das Gericht verurteilte den heute 19-jährigen Ajmal K. zu Beginn dieses Jahres wegen Totschlags, dieser habe den Tod von David Fischer billigend in Kauf genommen. Ein Motiv für die Tat fand die Richterin nicht. Der in Potsdam lebende Afghane bekam eine Haftstrafe von sieben Jahren, entschuldigte sich weinend im Gerichtssaal. Kurz danach legte sein Verteidiger gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof ein: Eine Entscheidung darüber solle in den nächsten Wochen fallen, sagte Rechtsanwalt Steffen Sauer gestern den PNN.
Damit solche Tragödien in Potsdam weniger wahrscheinlich werden, hat im Januar eine Jugendgewaltkonferenz getagt, zu der mehr als 100 Teilnehmer kamen. Nun ist ein Maßnahmenkatalog entstanden. „Die Polizei hat uns zum Beispiel zugesichert, mehr Jugendgruppen zu sich einzuladen und über Folgen von Gewalt für Täter und Opfer zu informieren“, sagte Sozialbeigeordnete Elona Müller den PNN. Ebenso sollen in den sechs Sozialräumen der Stadt jeweils Ideenkonferenzen stattfinden, kündigte Müller an - um die Menschen zu vernetzen, die vor Ort mit Jugendarbeit zu tun haben: „Die Hemmschwellen sind gesunken, dem müssen wir entgegenwirken.“
Wichtige Partner in solchen Fragen seien für sie die Schulen der Stadt, betonte Müller - und kritisierte, dass viele Direktoren noch zu passiv agieren würden. Etwa sei ein Rundbrief ihres Verwaltungsbereichs, in dem zu Gewalt an Lehrhäusern gefragt wurde, nur von der Hälfte der Schulen beantwortet worden. Grundschulen hätten sich noch am meisten beteiligt. „Viele haben Angst vor Stigmatisierung, dabei ist ein offener Umgang mit dem Problem besser – denn wenn etwas passiert, ist der Imageschaden für die betroffenen Häuser noch viel größer“, sagte Müller. Sie wolle versuchen, dass Gewaltprävention an Potsdams Schulen zu einem Qualitätsmerkmal würde. Zusätzlich stellte Müller mit Blick auf die Ferien erweiterte Turnhallenöffnungszeiten in Aussicht: „Manchmal ist Gewalt auch die Folge von zu viel Energie, die sich beim Sport abbauen lässt.“ Doch sicher ist sich Müller trotz aller Pläne auch: Zwar sei die Situation in Potsdam besser als in Berlin, doch würden sich Fälle wie die tödlich endende Schlägerei in der Charlottenstraße nie gänzlich vermeiden lassen. Drei Totschlagsdelikte gab es 2006 laut Polizei in Potsdam – keinen einzigen Mord.
Nicht als Einzelfall begriffen den Tod von David Fischer allerdings Parteien wie die rechtsextreme NPD. Der Messerstich wurde ein Politikum. Denn der Fall David Fischer geschah nur kurz nach der medialen Überreaktion im Fall Ermyas M.: Der Deutsch-Äthiopier war etwa zwei Monate vor dem Tod Fischers in Potsdam durch einen Schlag lebensgefährlich verletzt worden, sein Schicksal hatte bundesweite Bestürzung ausgelöst. Das vermissten die Freunde und Angehörigen von Fischer: Sie warfen Öffentlichkeit und Stadtpolitik vor, dass der Tod des 20-Jährigen nicht genügend Beachtung gefunden habe. Dies griffen Parteien wie die NPD gern auf: So sah Andreas Molau vom NPD-Bundesvorstand die Tat als Beweis dafür, dass Deutsche in ihrem eigenen Land „Opfer zweiter Klasse“ seien, wie er in einer Mitteilung anlässlich des Urteils gegen Ajmal K. schrieb. Dieser Sichtweise war der Potsdamer Staatsanwalt Peter Petersen in seinem Plädoyer beim Prozess energisch entgegen getreten: Es sei unzulässig, menschliches Leid gegeneinander aufzurechnen. Mit Blick auf die öffentliche Reaktion bei Fällen wie Ermyas M. sagte Petersen aber auch: „Wenn Politiker meinen, an Krankenbetten gehen zu müssen, ist das ihre Sache.“ Doch habe der Tod von Fischer keinen deutschfeindlichen Hintergrund – wie dies während der Diskussion oft behauptet wurde.
Inzwischen sind solche heftigen Debatten verebbt. Im Stadtbild erinnert nichts mehr an den Fall. Selbst die Bar, vor der David Fischer starb, heißt nun anders. Seine Eltern allerdings haben eine Homepage eingerichtet. Auf dieser schreibt seine Kusine über sein Leben kurz vor dem Tod: All das, was der damalige Azubis sich für sein Leben gewünscht hätte, habe er damals gehabt, selbst die „Liebe seines Lebens“. Viele werden an diesem Sonntag an David Fischer denken.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: