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HPI-Direktor Meinel (l.) mit Konferenzgästen in den Neuen Kammern von Sanssouci.

© Andreas Klaer

Von Jana Haase: Ein Traum für Zwangsneurotiker

Platznot im Internet: Bereits im September 2011 soll das Kontingent verfügbarer IP-Adressen erschöpft sein, schätzen Experten. Am Hasso-Plattner-Institut diskutieren Wissenschaftler und IT-Techniker, wie es weitergehen soll

Stand:

Im Internet wird der Platz knapp. Und zwar schon bald. Von den insgesamt rund vier Milliarden IP-Adressen, die mit dem derzeitigen Internet-Datenstandard verfügbar sind, sind nach Angaben der zentralen Vergabestelle für Netzadressen, der in den USA ansässigen IANA (Internet Assigned Numbers Authority), im Juni 2010 bereits 94 Prozent vergeben. Im Mai 2009 lag die Zahl noch bei 89 Prozent. Eine solche Adresse braucht jeder an das Netz angeschlossene Rechner, um für andere eindeutig identifizierbar und damit überhaupt erreichbar zu sein. Eine Tagung am Hasso-Plattner-Institut (HPI) der Universität Potsdam widmet sich noch bis zum heutigen Freitag der Frage, wie man das Adressenproblem löst – und gleichzeitig zukunftsweisende Internet-Anwendungen wie webgesteuerte Haushaltsgeräte ermöglichen kann.

Eigentlich ist die Antwort auf das Platzproblem schon seit Jahren bekannt: Das Internetprotokoll der Version 6, kurz: IPv6, soll die bisherige Version ablösen. Sieht der alte Standard noch eine 32-stellige IP-Adresse vor, wird dieser „Name“ bei der neuen Version 128 Bit lang. Und genau wie bei der Umstellung der Postleitzahlen vom vier- auf das fünfstellige System nach der Wiedervereinigung erhöht sich damit die Zahl der verfügbaren Adressen mit einem Schlag: Auf unvorstellbare 340 Sextillionen Adressen kommt der neue Standard. Zur Illustration: Umgerechnet könnte man damit jedem einzelnen Quadratmillimeter Erdoberfläche rund 667 Billiarden IP-Adressen zuweisen. Von Platzproblemen kann dann also keine Rede mehr sein.

Für den Computernutzer zu Hause wäre diese Umstellung kaum spürbar. Neue Software oder Geräte seien nicht nötig, erklärt Christoph Meinel, Direktor des HPI, den PNN: „Die Rechner sind bereits seit fünf, sechs Jahren IPv6-fähig.“ Er vergleicht den Standard-Wechsel mit der Erhöhung der Spannung im Stromnetz. Lediglich die Router, die die Internetverbindung herstellen, müssten angepasst werden.

Dennoch setze sich IPv6 in Deutschland nur langsam durch, beklagt Meinel. Der Grund: Der Internet-Datenstandard werde nicht zentral geregelt, sondern liege hauptsächlich in der Hand der großen Betreiber. Und die sähen mehrheitlich keinen Anlass zum Wechsel.

Um das zu ändern, hat der HPI-Direktor vor drei Jahren den deutschen IPv6-Rat mit ins Leben gerufen, der seitdem jährlich eine Tagung organisiert. Rund 60 Gäste aus Wissenschaft und von IT-Unternehmen sind diesmal dafür nach Potsdam gekommen. „Es ist allemal besser, jetzt umzusteigen, als dann, wenn die Not allzu groß geworden ist“, sagte Meinel zur Eröffnung des dritten IPv6-Gipfels. Auch EU-Kommissarin Neelie Kroes warnte in ihrer Videobotschaft vor einem längeren Zögern: Das „digitale Leben“ könne nur dann ordentlich weiter funktionieren, wenn der Wechsel vollzogen werde.

Bereits heute gebe es Internet-Anbieter, die mehr Kunden als Adressen haben, erklärte Meinel. Das Problem werde derzeit mit einem System umgangen, das die Adressen nicht fest zuteilt, sondern jeweils nur an die Rechner vergibt, die sich gerade einwählen. Eine ähnliche Behelfslösung werde auch im stark wachsenden Markt für Internet auf Mobiltelefonen angewandt: „Die Leute gehen davon aus, wenn sie surfen können, haben sie Internet, aber das ist nicht so“, betont Meinel. So sei es derzeit nicht möglich, per Handy bei Online-Auktionshäusern wie ebay mitzubieten – weil die IP-Adresse mit jeder Einwahl wechselt und der Kaufinteressent nicht identifizierbar ist.

Aber der Umstieg auf IPv6 ist nicht nur eine Platzfrage. Der neue Datenstandard soll auch sicherer sein. Er gilt zudem als Voraussetzung für das sogenannte „Internet der Dinge“ – eine Vision, in der Unterhaltungsmedien wie der Fernseher übers Internet gesteuert werden, Autos miteinander „kommunizieren“, um Zusammenstöße zu vermeiden, leere Kühlschränke automatisch Einkaufzettel erstellen oder Golfbälle ihren Standort online „melden“.

Sieben solch neuer Ideen von Tüftlern aus Deutschland, Taiwan und Italien wurden gestern Abend bei einer Gala in den Neuen Kammern im Park Sanssouci prämiert. Mit dabei auch der Traum für Zwangsneurotiker: Der Berliner Bernd Dörge entwarf ein elektrisches Türschloss mit eigener IP-Adresse. Damit kann der chronisch verunsicherte Hausbesitzer per Internet prüfen, ob die Tür abgeschlossen ist. Und im Zweifelsfall nachträglich abschließen.

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