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Homepage: Ein umfassender Umbruch
Die Energiewende fordert alle Bereiche der Gesellschaft. Das Potsdamer IASS will diese Wende steuern
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Es ist ein äußerst ambitioniertes Ziel. Der beschlossene Atomausstieg bis 2022 in Deutschland stellt die Energiewirtschaft vor eine große Herausforderung. Eine Energiewende ist nötig, die es ermöglicht, die wegfallenden 24 Prozent Anteil an der Stromerzeugung auf andere Weise zu gewährleisten und durch Effizienz einzusparen. „Es muss ein Grundlaststrom in dieser Größenordnung, konstant und zu niedrigen Kosten gewährleistet werden“, erklärt Klaus Töpfer, Exekutivdirektor des Potsdamer Institut für Nachhaltigkeitsforschung (IASS) und Co-Vorsitzender der Ethik-Kommission zur Energieversorgung.
Doch nicht nur Energiewirtschaft ist gefordert: Töpfer sieht die Energiewende nur als Gemeinschaftswerk machbar. Alle müssten sich beteiligen, auch die Forschung und die Zivilgesellschaft, sonst könne das Vorhaben nicht gelingen. Derzeit stottere der Motor der Energiewende allerdings etwas, so Töpfer. Der Energiewende fehlt es nicht nur an Geld, sondern auch an politischer Steuerung. Dem hat sich der ehemalige CDU-Umweltminister Töpfer mit dem Potsdamer IASS-Institut nun angenommen und die „Plattform Energiewende“ am Institut ins Leben gerufen. „Das Gemeinschaftswerk Energiewende ist eine große Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, betont Töpfer. Was nun gebraucht werde, sei ein umfassendes, belastbares Management für das Vorhaben: „Es ist zwingend erforderlich, dass eine derartige Roadmap für die Realisierung der Energiewende baldmöglichst eingesetzt wird.“
Denn der Atomausstieg ist zwar beschlossene Sache. Aber ist er denn auch möglich ohne Abstriche beim Klimaschutz, ohne Änderungen von Import/Export am Strommarkt, ohne einen Strompreisanstieg über ein akzeptables Niveau, ohne dass die deutsche Wirtschaft Probleme bekommt und ohne Gefährdung der Stabilität des Stromnetzes? Und: mit welchen Netzwerken wird das möglich sein? Zentrale Fragen, denen sich nun die Potsdamer „Plattform Energiewende“ (TPEC, Transdisciplinary Panel on Energy Change) annehmen will.
Auch sei zu klären, wie sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Gesellschaft einbringen lassen. „Die Energiewende muss so umgesetzt werden, dass sie von einer breiten Öffentlichkeit getragen wird“, erklärte Töpfer. Das Gelingen dieses umfassenden und komplexen Umbruchs sei nicht nur für die Sicherung unserer eigenen Stromversorgung von hoher Bedeutung. Auch würde das Ausland nun sehr genau darauf schauen, was in Deutschland geschieht. „Die Energiewende ist ein weltweites Unikat, wir werden intensiv dabei beobachtet, wie wir das machen“, so Töpfer. Von dem Vorhaben hänge somit auch viel für Deutschlands Glaubwürdigkeit ab.
Ziel der „Plattform Energiewende“ sei es, unabhängig und transdisziplinär zur Energiewende zu forschen. Themen sind beispielsweise neue Energiequellen und Energiespeicher, die Strompreisentwicklung und CO2-Emissionen. Die Plattform soll zudem Verbindungen zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft knüpfen. Dazu sind Foren und Workshops geplant. Darüber hinaus ist ein Monitoring zur Umsetzung der Energiewende vorgesehen. Die Ergebnisse der „Plattform Energiewende“ will das Institut für Nachhaltigkeitsforschung jedes Jahr in einem unabhängigen Gutachten veröffentlichen.
Ein erstes konkretes Projekt befasst sich mit der Preisbildung am Strommarkt. „Wir untersuchen, wie die etablierten Strukturen am Strommarkt zu den Herausforderungen durch erneuerbare Energien passen“, erklärt Kathrin Goldammer, Projektleiterin von TPEC. „Wir müssen und wollen eine vorurteilsfreie Debatte darüber führen, welche Marktsysteme in Deutschland zukunftsfähig sind.“ Die Forscher versuchen nun herauszufinden, wie die etablierten Strukturen am Strommarkt zu den Herausforderungen durch erneuerbare Energien passen und was effektive Anreizsysteme für konventionelle Erzeugung und Flexibilität sind.
Hintergrund ist, dass Kraftwerke zur Stromgewinnung aus Wind- und Sonnenenergie im Unterschied zu herkömmlichen Kohle- oder Gaskraftwerken nach der Errichtung keine großen Kosten mehr verursachen. Konventionelle Kraftwerke brauchen fortwährend Rohstoffe, Wind und Sonne kommt frei Haus. „Das ist ein fundamentaler Unterschied“, sagte Goldammer den PNN. Dadurch würde der Strompreis bei steigender Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien sinken. Was auf den ersten Blick für den Verbraucher positiv erscheine, werfe aber auch Fragen auf. Das auf konventionelle Kraftwerke ausgerichtete Marktsystem gehe davon aus, dass Stromerzeugung etwas kostet. „Plötzlich kommen die erneuerbaren Energien dazu, haben variable Kosten von null Euro.“ Wodurch konventionelle Kraftwerke zu vergleichsweise teuren Energieerzeugern werden und vom Strommarkt verdrängt werden.
Dass nun an Tagen mit viel Sonne oder Wind der Strompreis sinke, habe zwei Kehrseiten: Einerseits bekommen die erneuerbaren Energien eine Einspeisevergütung, die durch eine Umlage von den Verbrauchern kommt. Andererseits würden bei sinkenden Strompreisen herkömmliche Kraftwerke überflüssig. „Aber wir brauchen sie noch zur Versorgungssicherheit für Tage ohne Sonne und Wind.“ Daher müsse ein Anreizsystem geschaffen werden, um konventionelle Energieerzeuger am Leben zu erhalten. Es gehe darum, bei unerwartet erhöhtem Bedarf flexibel reagieren zu können. Goldammer erinnert an den plötzlich erhöhten Energiebedarf in Süddeutschland in der kalten Phase in diesem Februar.
Ziel sei es, den Strommarkt so zu transformieren, dass er zur Änderung der Erzeugungslandschaft passe. Möglich wäre, dies über einen Kapazitätsmarkt zu erreichen: Auch wenn ein Kraftwerk nicht laufe, halte es eine Kapazität für die Versorgungssicherheit bereit – und das könnte dem Kraftwerksbesitzer vergütet werden. Fragen seien nun auch, wie hoch der Bedarf tatsächlich ist, welche Modelle es gibt und wie man sie auf Deutschland übertragen kann. Derzeit arbeiten sechs Wissenschaftler an dem Projekt, die Gruppe soll noch vergrößert werden. Ein weiters Forschungsthema sieht Goldammer in den grenzüberschreitenden Strommärkten. „Die Frage wäre dabei, wie sich der deutsche Weg in die europäische Landschaft integrieren lässt.“
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