Landeshauptstadt: Ein Winzling als Urtyp
Ein Blick in die Kisten und Kästen des Magazins im Potsdamer Naturkundemuseum
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Ein Blick in die Kisten und Kästen des Magazins im Potsdamer Naturkundemuseum Von Hella Dittfeld Wenn in der Silvesternacht plötzlich alles lebendig würde, was das Naturkundemuseum in seinen Magazinbeständen beherbergt, das würde ein Gekribbel und Gekrabbel, ein Gepiepse und Gefauche geben. Allein die sorgfältig in ihren Kästen aufbewahrten Insekten zählen an die 140000. Schubfach für Schubfach kann Museumsleiter Dr. Detlef Knuth aufziehen, wenn es um Ohrwürmer, Käfer, Hummeln oder Schmetterlinge geht. Nur ein winziger Bruchteil der Bestände findet sich dann und wann in Ausstellungen wieder. Der „Erlebte Frühling“ war zum Beispiel ohne die Hummeln nicht denkbar und bei „Tiere im Garten“ sollten die Ohrwürmer nicht fehlen, weil sie sich dort als wichtige Nützlinge im Kampf gegen Blatt- und Blütenschädlinge erweisen. Um die Hummeln in der Ausstellung „schwirren“ zu lassen, ging ein Sammelauftrag an Prof. Joachim Oehlke, der Spezialist auf dem Gebiet der Honigsammler ist, und um zu einer Übersichtssammlung bei den Ohrwürmern zu kommen, wurde ebenfalls ein sammelnder Spezialist beauftragt. Zumeist aber wurden die mehr oder weniger systematisch geordneten Insektenpopulationen dem Museum als Geschenk übereignet und werden dort nun sicher aufbewahrt. Alle halbe Jahre werden die Kästen geöffnet und mit neuen Mottenstreifen gegen Schädlingsbefall gesichert. Außerdem haben sie es in ihren Schränken schön kühl.Wie notwendig die Hege und Pflege der Bestände ist, zeigte sich an einer Schmetterlingssammlung , die 1995 von der Uni ans Museum kam. Unsachgemäß aufbewahrt, sind bereits mehrere Schmetterlingskörper von Schädlingen regelrecht aufgefressen worden. Das wertvollste Museumsstück im Fachbereich Insekten ist jedoch die Sammlung von Erdmann Griep. Akribisch geordnet gibt sie über Käferpopulationen in und um Potsdam über drei Jahrzehnte Auskunft. Griep wurde 1899 geboren und starb 1957. Seine Sammelleidenschaft und die viele Arbeit, die in der vorbildlichen Dokumentation der Funde steckt, kann das Eheleben aber nicht gerade positiv beeinflusst haben. Frau Griep muss die Sammlung geradezu gehasst haben. Sie bot sie umgehend in den 60er Jahren dem Museum für 10000 DDR-Mark an. Auch wenn sie das Hobby ihres Mannes nicht mochte, was es wert war, wusste sie offenbar. Die Stadt musste damals die Bezahlung stückeln, auf einen Schlag hätte sie sich den Ankauf nicht leisten können. Heute ist Dr. Knuth froh, dass er die Griepsche Sammlung in seinem Bestand hat, denn sie gibt zusammen mit einer Kartei über Fundorte und Fundzeit erschöpfende Auskunft über das Vorkommen bestimmter Käferarten. Weniger froh ist der Museumschef, dass es kaum noch Taxonomen (wissenschaftliche Sammler) gibt. Systematik werde an den Universitäten nicht mehr gelehrt, sie sei zugunsten der Laborbiologie verschwunden. Vergleiche durch neue Sammlungen würden deshalb immer schwieriger. Dabei gibt es Fragen genug. Wie wirkte sich die Anlage des Buga-Volksparkes aus? Was geschah und geschieht aktuell am ehemaligen Mauerstreifen? Wie wirkt sich der Rückgang der Landwirtschaft aus und wo wäre Artenschutz nötig? „Es sind ja nicht nur die Käfer und Insekten, um die es geht. Sterben bestimmte Arten aus“, gibt Knuth zu bedenken, „dann hat das Auswirkungen auf die gesamte Population.“ So seien Potsdams Parks und Wälder zum Beispiel ein Hauptplatz für den Kleinspecht, der sich wiederum von Käfern und Larven ernähre. Da die Studenten bei der Dokumentation des aktuellen Zustandes leider ausfallen, gäbe es noch eine andere Möglichkeit, zu neuen Sammlungen zu kommen, meint Knuth. Beim Autobahnneubau oder der Anlage von Gewerbegebieten seien Sammlungen und Dokumentationen vorgeschrieben. Die Resultate sollten an Museen weitergereicht werden. Die von den Museen bewahrten Sammlungen könnten so Auskunft über den Zustand von Wald und Flur sowie deren Entwicklung geben und zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Dass das nicht geschehe, werde deutschlandweit beklagt, betont der Potsdamer Museumschef Trotz der vorgenannten Misere gibt es aber eine ganze Menge zu sehen und zu vergleichen im Naturkundemuseum: Von den mehreren Zentimeter großen Heldböcken über wie changierende Seide schillernde Blattkäfer bis zu Schmetterlingen in Braun oder Grau, die nur des nachts fliegen. Auch der faszinierend gefärbte Bläuling, der in dieser Region gerade erst wieder aufgetaucht ist, gehört dazu. Er beweist, dass sich nach dem Rückgang der intensiven Landwirtschaft alte Gräser und Pflanzen rekultiviert haben und nun wieder einen Schmetterling anziehen, der über Jahre keinen Anreiz mehr zum Verweilen fand. Da gibt es aber auch noch einen Käfer, der den Urtyp für alle seine Familienmitglieder darstellt: Den winzigen, nur Millimeter großen Atheta Griepi, der von Erdmann Griep entdeckt wurde. An ihm muss sich nun jeder Käfer dieser Gattung messen lassen.
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