zum Hauptinhalt
Wälzten große Fragen: Lioba Diez, Constanze Rocksch, Steven Bauriedl.

© privat

Landeshauptstadt: Eine Frage der Reife

„So viel Kraft in mir“ – Das Helmholtz-Gymnasium hat seit 1992 eine Religionsphilosophische Woche

Stand:

Wie frei ist der Mensch? Wie kann man als vernünftiger Mensch religiös sein? Und was kommt nach dem Tod? Die 80 Schüler der Abiturstufe am HelmholtzGymnasium hatten in den letzten Wochen reichlich Gelegenheit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. Seit 1992 findet regelmäßig die Religionsphilosophische Projektwoche statt. Frei von Leistungsdruck und Stundentafel soll Zeit sein, sich intensiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Nur wenige Schüler belegen in der Oberstufe Philosophie, sagte Schulleiter Dieter Rauchfuß, und im Fach LER, so die Erfahrung der Schüler, werde vieles nur angerissen, was sich zu vertiefen lohne. Viele Schüler vermissen zudem die Möglichkeit, mit Eltern darüber reden zu können.

Das Angebot dieser Projektwoche ist breit gefächert: Von Wissensvermittlung, Gesprächen mit Vertretern der verschiedenen Religionsgemeinschaften, Diskussionen bis hin zu Meditation reicht die Auswahl. Organisiert hat die Woche die evangelische Pfarrerin Lioba Diez vom Amt für kirchliche Dienste gemeinsam mit der Schulleitung und einem achtköpfigem Schülerteam. „Wir wollen hier niemanden missionieren“, betont Rauchfuß. Es gehe darum, Denkanstöße zu geben, Atheisten, Gläubige und denjenigen, denen momentan alles gleichgültig ist, Freiraum zu geben zur gemeinsamen und ganz persönlichen Reflektion. Da ohne Faktenbasis nichts geht, beschäftigten sich die Schüler anfangs mit Grundlagenvermittlung: In kleinen Gruppen ging es um Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus. Bewusst wurde Walter Rothschild, ein Rabbi aus Berlin, eingeladen. „Die jüdische Szene in Potsdam ist mehr als kompliziert“, sagte Rauchfuß. Von ihrem Gast von außerhalb, der eine gewissen Objektivität ausstrahlte, wollten die Schüler wissen, woher der Hass auf das Judentum überhaupt kommt. „Wir haben dazu natürlich keine klare Antwort bekommen“, sagte Constanze Rocksch vom Org-Team. „Aber er hat uns ermutigt, eine eigene Einstellung dazu zu finden“. Ebenso ging es um „Gewalt in der Geschichte des Christentums“ und die Frage: „Anpassung und Widerstand“ mit der Potsdamer Pfarrerin Juliane Rumpel. Vor dem Hintergrund des Papstbesuchs lag die Beschäftigung mit dem Thema „Die Kirche und die verdammte Macht“ nahe – und ließ die Schüler resümieren, dass Kirche und Glauben nicht unbedingt dasselbe sein müssen. „Man muss nicht religiös sein, um zu glauben“, fühlt Constanze nach dieser intensiven Woche. „Religionen haben den schlechten Ruf, für die Konflikte der Welt verantwortlich zu sein; der Glaube verbindet die Menschen aber auch“, hat sie für sich herausgefunden. Um mit der Last des Lebens zurecht zu kommen, könne man auch Kraft aus dem Glauben an sich selbst schöpfen. Damit es nicht zu theoretisch wurde, standen Besuche im jüdischen Museum, einer Moschee, einem buddhistischen Meditationszentrum sowie einer Evangelischen Kirche in Berlin im Wochenprogramm. Zwei Mädchen zogen sich extra für die Führung durch die Moschee lange Kleidung an, um die Knie zu bedecken. „Diese Respekterweisung fand ich gut, das hat mich schon beeindruckt“, sagte Clara Marlene Schulz. Sie selbst hatte sich bewusst einen Vortrag über den Islam ausgesucht, um ihre eigenen Vorurteile abzubauen. „Terrorismus ist eben nicht begründet im Glauben und den Schriften des Islam“, hat sie daraus mitgenommen. Auch Pastorin Diez hat die Erfahrung gemacht, dass die im Vorfeld oft präsente Ablehnung gegenüber Religionen sowie pauschale Vorbehalte während der Woche dahinschmelzen. Außerdem stellen sich die Jugendlichen manchmal zum ersten Mal selbst Fragen über die eigene Religiosität. So erfuhren die Schüler in diesem Jahr, dass einer von ihnen einst zu den Mormonen gehörte und eine Mitschülerin jüdische Vorfahren hat. Für diese Gespräche untereinander gab es Zeit in den täglichen Treffen der Basisgruppen. Ein anderer Geist sei in dieser Woche durch die Schule geweht, bestätigen Schüler und Schulleiter Rauchfuß. Über diese Entwicklung, wenn die Abiturienten jenseits von Prüfungsfächern Interesse zeigen und bereit sind, sich zu öffnen, freut sich Rauchfuß besonders. „Nicht umsonst hieß das Abi früher Reifeprüfung“, sagt er. Für manche der Jugendlichen beginnt hier ein Prozess, der lange über die Woche hinaus anhält und sich auf die Auswahl des Studienfaches auswirkt. Nach einem vollen Terminkalender und Diskussionen über Schöpfung und Evolution, Sekten und Existenzialismus nutzten viele am letzten Tag die buddhistische Meditation zum Entspannen. „Ich hatte danach so viel Kraft in mir, das war fast wie ein Wunder“, sagte Josephine Niang.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })