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An der Fachhochschule haben Studierende und Dozenten über die Zukunft der Arbeit nachgedacht

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Am Ende steht Adrienne Goehler mit den Studierenden noch vor der Fachhochschule, es wird heiß diskutiert. Die ehemalige Berliner Kultursenatorin hatte die Sozialarbeits- und Kulturarbeitsstudenten der Potsdamer FH in der gemeinsamen Diskussionsrunde „kunstarbeit statt sozialarbeit“ am Mittwochvormittag eifrig provoziert. Ihre These: Soziale Arbeit und Kulturarbeit müssen ihre festen Strukturen aufbrechen, sie müssen sich überlappen, verflüssigen (so der Titel ihres Buches). Und die Studierenden müssten dazu schon in ihrem Studium die festen Strukturen und Grenzen über Bord werfen.

„Sie wollen Lebenslänglichkeit? Vergessen sie es“, warf sie einem Studierenden an den Kopf, der eingewendet hatte, dass eine gewisses Maß an Nachhaltigkeit und Stabilität doch im Studium wie im Berufsleben notwendig sei. Nicht mehr in diesen Zeiten, so Goehlers hartes Fazit. „Bis zur Rente auf einer Schiene, das ist vorbei!“, rief sie. Eine Studentin sagte, dass sie direkt nach der Schule Klarheit im Studium wünscht: „Wir wollen wissen wohin es geht.“ Eine Steilvorlage für Goehler, die als freie Publizistin in Berlin und Portugal lebt: „Es ist wie im richtigen Leben, da weiß man auch nicht, wohin es geht“.

Doch die Studienstrukturen waren nicht Goehlers eigentliches Anliegen. Vielmehr wollte sie den angehenden Sozial- und Kulturarbeitern vermitteln, dass sie als Sozialarbeiter nur weiter kommen werden, wenn sie neue Wege gehen. „Sie werden grandios scheitern, wenn sie eine Fortsetzung der Pädagogik betreiben. Sie brauchen andere Mittel“ lautete ihre drastischen Worte. Gemeint war die Integration von künstlerischer Kreativität in die Soziale Arbeit. Als Beispiele gelten Goehler beispielsweise Projekte, bei denen an Schulen Musicals einstudiert werden. „Die Vorstellung selbst etwas bewirken zu können, selbst die Welt zu machen, ist ganz wichtig“, so die Autorin. Man studiere nicht nur, um „credit points“ zu sammeln: „Sie sind nicht an der Hochschule, um Rabattmarken zu sammeln.“

Und an die Kreativen gerichtet sagte Goehler: „Die Künstler und Wissenschaftler müssen den Arsch hochkriegen und aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen, sie müssen ihre Kompetenz der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, sonst scheitern auch sie in ihrer Arbeit.“ Einer anwesenden Künstlerin ging diese Forderung zu weit: „Hilfe! Was soll die Kunst noch alles schaffen, sollen wir jetzt die Welt retten“ , fragte sie Goehler. Ganz so viel sei nun doch nicht von ihnen verlangt, antwortete die. Doch ihr gehe es um Leidenschaft anstelle von Didaktisierung an den Schulen.

Eine Studentin gab ihr insofern recht, als dass sie in einem Tanz-Seminar in ihrem Studium erfahren habe, was es bedeute, Feuer zu fangen. „Dies muss man selbst erst einmal erleben, um es dann an Jugendliche weitergeben zu können.“ Auch ihre Professorin, Hanne Seitz von der FH, stimmte dem zu: „Die Sozialarbeit muss die Vitalität der Kunst nutzen, um eine andere Wertigkeit zu erhalten.“ Goehler konkretisierte: Es gehe darum, einen Rhythmus in die Pädagogik zu bringen. Als Beispiel nannte sie den Film „Rhythm Is It“, in dem Simon Rattle mit Schülern einer Problemschule und den Berliner Philharmonikern ein Ballettstück einstudiert. Die gemeinsame Probe, der Applaus, die Wertschätzung, die Öffentlichkeit – all dies seien fundamentale Erfahrungen, die den meisten Schülern heute fehlen würden, so Goehler.

Die Studierenden nutzten den kompletten Mittwoch, um sich dem Thema Arbeit von verschiedenen Seiten zu nähren. Am Nachmittag gab es Workshops im Filmmuseum. Tenor der Studenten: Ohne ein Grundeinkommen wird es in Zukunft kaum gehen. „Es gibt einfach nicht mehr ausreichend Jobs“, stellte Benjamin Groß fest. Was Prof. Gerd Buck (FH) so nicht stehen lassen wollte. „Man muss eben versuchen Arbeit selbst zu schaffen, sich einzugliedern, auch unter Nutzung von Arbeitslosengeld“. Den Studierenden erschien das unrealistisch. „Von gemeinnütziger Arbeit kann keiner leben“, erwiderte Benjamin Groß. Das wüsste die Studierenden nur zur Genüge. Der Mangel an Jobs würde in erster Linie durch Rationalisierungs- und Ausgliederungsmaßnahmen der Firmen verursacht. Die Erkenntnisse der Studierenden hatten aber nur wenig Publikum. Kaum 20, meist junge Menschen waren zu den öffentlichen Gesprächen gekommen. Der Rest musste vermutlich arbeiten – oder lag am See. Ganz so wie es in der Diskussion „Recht auf Arbeit, Recht auf Faulheit“ dann hinterfragt wurde.

Zum Abend aber waren sie alle da, nach Büroschluss oder vom Badesee kommend traf man sich im „Schaufenster“ der FH. Hier wurde aus der Theorie Praxis. Die von Adrienne Goehler geforderte „Verflüssigung“ von Sozialer Arbeit und Kultur brachte acht FH-Studierende und drei Pensionäre auf die improvisierte Bühne.

Ein Großraumbüro, jeder hat seinen Tisch, packt darauf aus, was er so braucht, von Schreibutensilien bis zum Teddy. Doch die jungen Menschen müssen sich entschuldigen. Dafür, dass sie gerade nicht arbeiten, dass sie zu weich sind, dass sie sich gerade umorientieren, dass sie erst später anfangen zu arbeiten. Die drei Rentner haben etwas erhöht auf Bürostühlen Platz genommen und erinnern sich. „Zu meiner Zeit war Arbeit etwas Nützliches, ja Notwendiges“, sagt der ehemalige Bauingenieur. „Ich bin auf Zack, ich kann was leisten“, ruft der Verwaltungsbeamte. Und der Ingenieur meint, dass er zu seinem Tode vom Gerüst fallen werde: „Dann bin ich befreit“. Die jungen Arbeitsuchenden hingegen wollen alles, nur nicht von der Arbeit, die sie gar nicht haben, befreit zu werden. Als das Telefon klingelt, geht einer der Alten ran. Er vermittelt das Gespräch für eine junge Bewerberin. Ohne Erfolg. Sie soll den Flug zum Bewerbungsgespräch selbst zahlen. Womit sich die Sache für sie erledigt hat.

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