
© Manfred Thomas
100 Jahre Studio Babelsberg: Eine Kulisse mit Eigenleben
Die Berliner Straße hat in fast 30 Kinofilmen mitgespielt: Filmhistoriker Michael Wedel achtet aufs Detail
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Wenn diese Wände reden könnten, sie hätten einiges zu erzählen: Vom jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman, der sich vor den Nazi-Schergen versteckte, von Michael Ehrenreich und seinen Freunden in der Sonnenallee, die sich trotz DDR-Regime ihre Jugend nicht haben verbieten lassen, oder vom Tag, an dem das Attentat auf Hitler glückte: „Operation Kino“ heißt das Komplott in Quentin Tarantinos Weltkriegsfarce „Inglourious Basterds“, in der die Berliner Straße ihren bislang vielleicht spektakulärsten Auftritt hatte.
In fast 14 Jahren ist die Außenkulisse von Studio Babelsberg fast so berühmt geworden wie die Regisseure und Schauspieler, die hier gedreht haben. Die Kulisse führt mittlerweile eine Art Eigenleben auf der Leinwand, das sie für Filmwissenschaftler wie Michael Wedel besonders interessant macht. Der Professor für Filmgeschichte an der Babelsberger Filmhochschule arbeitet gemeinsam mit seinen Kollegen Tobias Ebbrecht und Thomas Schick und Filmstudenten an einem Buch über die Berliner Straße.
Für Wedel ist sie längst zum „virtuellen Erinnerungsort“ geworden – und zwar nicht nur für Deutschland, sondern auch im europäischen Zusammenhang: Wenn sich internationale Filmproduktionen der deutschen Geschichte annehmen, ist ein Auftritt der Babelsberger Kulisse fast unvermeidlich. „Mediale Erinnerungskultur hat heute sehr viel mit der Berliner Straße zu tun“, sagt Michael Wedel.
Seit die Kulisse 1998 für die DDR-Komödie „Sonnenallee“ gebaut wurde, hat sie allein in knapp 30 Kinofilmen „mitgewirkt“, Fernseh- und Werbeproduktionen kommen hinzu: Die Straße war Warschau in „Der Pianist“, Berlin in „Herr Lehmann“, New York in „Beyond the Sea“, San Francisco in „In 80 Tagen um die Welt“, Kopenhagen in „Tage des Zorns“ oder Paris in „Inglourious Basterds“.
Möglich ist das, weil die 7000 Quadratmeter große Kulisse sehr wandelbar ist, erklärt Wedel. Die insgesamt 26 Module können immer wieder neu arrangiert, die Fassaden zusätzlich dekoriert und verschiedene Stockwerke über Gerüste an den Rückwänden „zugänglich“ gemacht werden. Ein Außenset in der Größe sei nicht nur einzigartig in Europa, weiß Wedel. Auch die Nähe zu den historischen Schauplätzen in Berlin mache sie für internationale Filmemacher so interessant.
Dabei lohnt der Blick aufs Detail: Daran, wie die Straße jeweils inszeniert wird, kann man ablesen, wie mit Geschichte umgegangen wird, so Wedels These. In dem Buch „Babelsberg, Berliner Straße“, das im Herbst erscheinen soll, wird das an verschiedenen Beispielen belegt. Quentin Tarantino etwa, der in „Inglourious Basterds“ die Nazi-Elite effektvoll zur Hölle schickt, hat in „seiner“ Berliner Straße nicht nur ständig wechselnde Kino-Titel anschlagen lassen – auch Plakate mit Rechtschreibfehlern kleben an den Wänden: „Das korrespondiert mit seinem Konzept, Geschichte umzuschreiben“, sagt Wedel.
Ob die Straße ihren 15. Geburtstag 2013 überleben wird, ist nicht sicher: Dort, wo sie heute steht, sollen Wohnungen gebaut werden. Einen Ausweichstandort gibt es noch nicht. Jana Haase
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