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Homepage: Eine Liebe auf Distanz

200 Jahre preußisches Emanzipationsedikt: Eine wissenschaftliche Tagung über das schwierige deutsch-jüdische Verhältnis

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Eine Liebesbeziehung? Oder doch eher eine Liebe auf Distanz? Preußen und die Juden, das ist ein Thema für sich. Aus Anlass des 200. Jahrestages des Emanzipationsediktes von 1812 hat das Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) versucht, dieser Beziehung in einer wissenschaftliche Tagung näher zu kommen. Mit dem Edikt von 1812 wurden die preußischen Juden zu Staatsbürgern, mussten keine Zwangs- und Sonderabgaben mehr leisten. Wie Paul Rieger 1912 sagte, bedeutete der 11. März 1812 für die preußischen Juden das Ende des Mittelalters. So gesehen ein großer Schritt nach vorne.

MMZ-Direktor Julius H. Schoeps kam dennoch zu einem eher zwiespältigen Ergebnis. Sehe man sich das Edikt von 1812 genauer an, dann falle auf, dass die Behörden eigentlich nur gewillt waren, die Juden zu ,Bürgern auf Probe’ zu machen, sagte der Historiker Schoeps zur Eröffnung der Konferenz am Sonntagabend. Der Zugang zu Staatsämtern, Universitäten und zur Offizierslaufbahn sei ihnen nach wie vor verschlossen geblieben. In Teilen der Beamtenschaft habe man auch bezweifelt, dass die Juden so weit seien, den christlichen Bürgern gleichgestellt zu werden. Erst 1871 erlangte mit Gründung des Deutschen Reiches die Gleichstellung der Juden überall Gesetzeskraft. Und auch danach gab es heftigem Protest dagegen, in Berlin wurde einme Petition gegen die rechtliche und soziale Gleichstellung von Juden unterzeichnet.

Dessen ungeachtet sei der Anpassungsprozess auf jüdischer Seite ungebremst weiter gelaufen: „Die Untertanenloyalität verwandelte sich zunehmend in einen aktiven Bürgerpatriotismus“, so Schoeps. Preußen wurde den Juden zum „Zuhause“ und „Vaterland“. Deutlich sei die starke Identifikation der Juden mit dem preußischen Staat auch durch die heute wenig bekannte Tatsache geworden, dass in den Synagogen in Potsdam, Halberstadt und anderen Orten seit Ende des 18. Jahrhunderts ein preußischer Königsadler mit dem Namenszug „Friedrich Wilhelm Rex“ in gusseiserner Form angebracht war. An hohen jüdischen Feiertagen sei der Landesherr bewusst mit in das Gebet eingeschlossen worden.

Die Beteiligung an den Freiheitskriegen sahen die preußischen Juden – trotz Anfeindungen aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft – als Prüfstein für die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten an. Je mehr Juden sich zu den Waffen meldeten, desto eindeutiger wäre, dass sie keine Drückeberger, sondern Patrioten seien. Dass sie damit gegen Frankreich zogen, dem Land aus dem nach der Französischen Revolution überhaupt erst der Funke der Aufklärung und Emanzipation entsprungen war, mag dabei den Wenigsten bewusst gewesen sein.

Trotz solcher Widersprüche und aller Einschränkungen entwickelten die preußischen Juden so etwas wie eine bürgerliche „Gegenwelt“, eine Welt der Aufklärung, des Aufbruchs und des Fortschritts. „Die Juden, die in dieser Welt lebten, nahmen für sich in Anspruch, das andere Preußen zu verkörpern“, so Schoeps. Viele engagierten sich als Kunstsammler oder taten sich als großzügige Mäzene hervor. Man fühlte sich zugleich als Preuße, Deutscher und Jude. Der von den Juden gehegte Wunsch, als gleichberechtigter Bürger von der christlichen Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden, sei im 19. Jahrhundert in greifbare Nähe gerückt. „Aber, wie wir wissen, sollte dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen“, sagte Schoeps. Die Hoffnung auf eine deutsch-jüdisch-liberale Weggemeinschaft sei unerfüllt geblieben. „Und daran konnte auch die in Etappen nach 1812 zugestandene formale bürgerliche Gleichstellung am Ende nichts ändern.“ Die Beziehung zwischen Juden und der Mehrheitsgesellschaft lässt sich also am ehesten als eine einseitige, von den Juden ausgehende Annäherung charakterisieren. Auf der anderen Seite eher als eine „Distanzliebe“.

Auch die Historikerin Hannah Lotte Lund sieht beim Edikt von 1812 vor allem die schrittweise Rücknahme von Regulierungen in der Folgezeit. Die Bemühungen um Emanzipation, die vor allem von den Juden selbst ausgegangen sei, sei auf starke Gegenströmungen und antijüdische Tendenzen gestoßen. Dabei hätten sich theologische mit rassistischen Argumenten vermischt. Hinzu sei eine Angst vor Überfremdung gekommen. Man befürchtete, die Juden würden sich schneller „vermehren“ als die Christen. Manch einer wünschte sie gar auf eine „Zuckerinsel“ im Süden. Vorstellungen, die sich später bei den Nationalsozialisten wiederfanden („Madagaskarplan“).

Der Tod von Friedrich II. 1786 hatte in reformfreudigen Kreisen eigentlich die Hoffnung geweckt, dass nun das größte Hindernis einer jüdischen Emanzipation verschwunden sei. Doch Schritte in diese Richtung wurden nach den Ausführungen von Lund verschleppt. Erst nachdem 1792 in Frankreich die Juden mit einem Handschlag zu Staatsbürgern wurden, trat ein langsames Umdenken ein.

Dass Friedrich II. zuvor mit seiner „Judenpolitik“ eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, ist heute kein Geheimnis mehr. „Der große Friedrich, der in den Geschichtsbüchern als aufgeklärt und tolerant bezeichnet wird, war wie sein Vater nicht gut auf die Juden zu sprechen“, so MMZ-Direktor Schoeps. Das vom Preußenkönig 1750 erlassene Generalreglement hatte Mirabeau später als „einem Kannibalen würdig“ bezeichnet.

Die Situation der in Preußen lebenden Juden vor 1812 spricht für sich. Im 16. Jahrhundert waren Juden auch aus dem protestantischen Brandenburg vertrieben worden, erst später durften sich einige wenige dort wieder ansiedeln. Der Großteil lebte verarmt und lediglich „geduldet“ in „Judengassen“. Die wohlhabenderen Schutzjuden mussten jedes Jahr teuer dafür bezahlen, dass sie vor Verfolgung sicher waren. Zu dem Schutzgeld für das bloße Aufenthaltsrecht kamen, wie der Historiker Tobias Schenk (Wien) ausführte, horrende Zwangsabgaben hinzu. So wurden sie etwa durch Kabinettsbefehl von Friedrich II. gezwungen, bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur KPM sogenanntes „Judenporzellan“ zu erwerben. Zunehmende Verarmung und wachsende soziale Spannungen seien die Folge solcher Vorgaben gewesen. Vor allem auch die großangelegten Zwangsumsiedlungen von Juden an die polnische Grenze zeigten die Abneigung, die Friedrich der Große für Juden empfand. „Friedrich hegte gegenüber den Juden zeitlebens eine tiefe Aversion, die häufig aktenkundig geworden ist“, so Schenk. Den Einwurf Friedrich Battenbergs, dass Friedrich II. allen Untertanen gegenüber nicht sehr positiv eingestellt gewesen sei, ließ Schenk nicht gelten. In diesem Ausmaß und dieser Schärfe habe der Preußenkönig sich nur gegen die Juden gewandt.

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