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Landeshauptstadt: „Eine ziemliche Einseitigkeit“

Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden kritisiert die Potsdamer Gedenkkultur – und indirekt das Projekt Garnisonkirche

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Mit einem verbalen Rundumschlag schaltet sich der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, in die Debatte um Potsdams Gedenkkultur ein – und kritisiert indirekt den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Befürworter des umstrittenen Kirchenbaus reagieren mit einem Angebot zum Dialog.

In seiner Stellungnahme zum geplanten Potsdamer Gedenkkonzept schreibt Kramer, zur Erinnerung an geschichtliche Ereignisse würden in Potsdam jüdische Aspekte zu selten angesprochen. Es bestehe „eine ziemliche Einseitigkeit“, so Kramer: „Die Ursachen und Wirkungen des Nationalsozialismus werden höchstens relativ abgeschwächt im Verhältnis zur preußisch-königlichen Geschichte und der Zeit nach 1945 thematisiert.“ So beschränke sich laut Kramer die Erinnerung an die frühere jüdische Gemeinde auf den Gedenkort der ehemaligen Synagoge, den jüdischen Friedhof und einige Stolpersteine für individuelle Opfer. Trotz des „ritualisierten Gedenkens“ zur Erinnerung an die Novemberpogrome 1938 mangele es an Kenntnissen der historischen Entstehungsbedingungen und der Zusammenhänge mit den folgenden Menschheitsverbrechen, so Kramer: „Potsdam war nicht nur am Tag von Potsdam eine herausragende Stadt der nationalsozialistischen Verhetzung und des Terrors.“ Positiv vermerkt Kramer, Potsdam sei seines Wissens die erste Landeshauptstadt, die ein solches Votum vom Zentralrat einholt.

Für eine detaillierte Erklärung seiner Einschätzung war der in Berlin lebende Kramer am Dienstag nicht zu erreichen. Er schrieb den PNN, er könne wegen seiner Teilnahme an den Pessach-Feierlichkeiten keine Stellung nehmen, einem der wichtigsten Feste des Judentums, das an die Befreiung der Israeliten aus ägyptischer Sklaverei erinnert.

Damit ist auch nicht klar, inwiefern Kramer den umstrittenen Wiederaufbau der 1969 abgerissenen Garnisonkirche ablehnt. In seiner Stellungnahme streift Kramer das Thema: Die Garnisonkirche sei – dieser Hinweis sei ihm wichtig – „nicht nur für die jüdische Gemeinschaft äußerst negativ-symbolträchtig“, schreibt der Generalsekretär. Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche wertete diese Aussage Kramers in einer Erklärung als Positionierung des Zentralrats gegen den Wiederaufbau. Ob dies tatsächlich so ist, blieb am Dienstag unklar – im Berliner Büro der Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland war wegen des Pessachfestes niemand zu erreichen. Gegner des Wiederaufbaus der Garnisonkirche verweisen stets auf die Reichstagseröffnung in der Garnisonkirche am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933, der als Beginn der Nazi-Herrschaft in Deutschland gilt – das Symbol dafür dürfe nicht wieder aufgebaut werden.

Martin Vogel, Vorstand der Stiftung Garnisonkirche, hat indes auf Kramers Stellungnahme reagiert. Er kennt Kramer, sitzt mit ihm im Trägerverein der Gedenkstätte des Hauses der Wannsee-Konferenz in Berlin. „Ich schätze die Meinung von Herrn Kramer sehr“, sagte Vogel den PNN. Er habe am Dienstag mit ihm verabreden können, sich nach Pessach über das Projekt Garnisonkirche auszutauschen – bisher habe man darüber noch nie geredet. Das jüdische Fest endet am 2. April. Bereits in der vergangenen Woche hatte sich der Rabbiner Walter Homolka vom Abraham-Geiger-Kolleg mit den Worten zitieren lassen, das Gotteshaus stehe für mehr als den „Tag von Potsdam“, etwa für Widerstand gegen die Nationalsozialisten in der Garnisonkirchengemeinde.

Kritik an der Erinnerungspolitik in Bezug auf das frühere jüdische Leben in der Stadt kommt auch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum (MMZ) an der Universität Potsdam. Die Erinnerung an jüdisches Leben sei in Potsdam deutlich unterrepräsentiert, gerade auch im Vergleich zu Berlin, heißt es in der Stellungnahme des MMZ zum Gedenkkonzept. „Im Stadtbild sollte im Rahmen eines ausgedehnteren und öffentlich wahrnehmbareren Gedenktafelprogramms stärker auch an jüdisches Leben erinnert werden, wobei eine einseitige Konzentration auf die Verfolgungsgeschichte zu vermeiden ist“, so die Wissenschaftler. Wünschenswert wäre ferner die Benennung von neu angelegten Straßen, etwa mit Namen von jüdischen Gelehrten oder auch Offizieren. „So wünschenswert es ist, weitere Stolpersteine zu verlegen, sollte sich die Stadt bewusst sein, dass dies ein würdigendes und ehrendes Gedenken nicht ersetzt.“

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