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Riskante Spiele. Auch Computerspiele sind vom sogenannten Cyber-Grooming – der sexuellen Belästigung im Internet – betroffen. Die Täter gehen dabei sehr perfide vor.

© dpa

Homepage: „Einfallstor für Sexualtäter“

Der Kriminologe Thomas Rüdiger über das Agieren von Sexualtätern im Internet, Risiken bei Computerspielen und unwissende Eltern

Stand:

Herr Rüdiger, Kinder werden im Internet immer wieder zu Opfern von Sexualtätern. Sollten Eltern ihrem Nachwuchs das Internet am besten verbieten?

Nein, das führt in die falsche Richtung. Den richtigen Umgang mit dem Internet müssen die Kinder ohnehin lernen. Man sollte ihnen auch nicht nachschnüffeln. Es geht vielmehr darum, dass Eltern sich mit der Medienrealität, in der sich ihrer Kinder bewegen, auseinandersetzen. Beispielsweise Kinder-Chatportale und Online-Spiele, hier sollten die Eltern sich mit den Programmen genauso vertraut machen wie ihre Kinder. Die Eltern sollten sich selbst anmelden, um zu sehen, worum es geht.

Um was zu erreichen?

Kinder treten mit einem Problem eher an ihre Eltern heran, wenn sie Vertrauen haben. Und das entsteht in diesem Zusammenhang meist durch Medienkompetenz. Wenn die Eltern sich mit den Dingen auskennen, gibt es eine gemeinsame Ebene. Nur so werden sie zum Ansprechpartner. Diese Zeit sollten Eltern sich für ihre Kinder nehmen. Wenn man sich selbst anmeldet, ist bei vielen Internetangeboten bereits zu erkennen, wo die Risiken liegen.

Und die liegen wo?

Bei Jugendlichen sind etwa Spiele sehr beliebt, bei denen sich die Nutzer beispielsweise über eine virtuelle Figur eine neue Identität geben. Solche Spiele haben weltweit mehrere Hundert Millionen Zugriffe pro Jahr und werden eifrig beworben. Meist sind sie ohne oder mit geringer Altersbeschränkung freigegeben. Teilweise besitzen sie auch eine niedliche Oberfläche mit süßen Ponys und hübscher Umgebung, die auf Eltern völlig harmlos wirkt. Wenn man selbst angemeldet ist, sieht man aber, was bei einigen dieser Spiele schnell passieren kann. Im schlimmsten Fall kann man nämlich Anfragen sexueller Natur beobachten oder es werden Mädchen zum Bildertausch gesucht.

Das Problem sind also nicht nur die Chats, sondern auch die Spiele?

Das ist der springende Punkt. Bei klassischen Chatportalen sind Eltern vielleicht noch vorsichtig, bei kindgerecht anmutenden Spielen mit Pinguinen und Teddybären aber weniger. Und diese Spiele sind meist ohne Altersbeschränkung, weil nur geprüft wird, ob Gewalt oder Pornografie vorhanden ist. Doch besitzen fast alle Computerspiele heute einen Onlinemodus und somit eine Chatfunktion. Dies und eine fehlende Verifikation der anmeldenden Spieler ist das Einfallstor für Sexualtäter. Problematisch ist auch, dass einige Spiele nur auf den ersten Blick umsonst sind. Denn später wird man aufgefordert, virtuelle Güter zu kaufen. Eine Masche von Sexualtätern ist es zum Beispiel Kindern virtuelle Währungen für Nacktbilder anzubieten.

Wie läuft das ab?

In einigen Spielen werden die Spieler animiert, virtuelle Güter wie Haustiere, Möbel oder Waffen zu kaufen. Besonders perfide ist dabei folgender Mechanismus in einem Spiel: Die Kinder können Haustiere kaufen, die sich streicheln lassen und mit denen gespielt werden kann, bis sie Hunger bekommen. Dann reagieren sie erst wieder, wenn sie Futter erhalten. Und das kostet wieder Geld. Meist eine Fantasiewährung, die per Kreditkarte oder Telefonrechnung gekauft werden kann. Kinder, die nicht zahlen können, können dann empfänglich sein für Sexualtäter. Die versprechen nämlich, bestimmte Dinge zu kaufen, wenn sie ein Nacktbild oder Ähnliches erhalten. Für die Täter reicht oft schon eine Antwort auf eine explizite Frage – etwa ob ein Mädchen bereits Brüste hat –, um von dem Kind weitere Handlungen zu erpressen. Es gibt gegenwärtig fast keine Kinderchatportale oder -spiele, die so abgesichert sind, dass in ihnen keine Sexualtäter unterwegs sein können.

Können die Betreiber das denn gar nicht verhindern?

Es gibt Programme, die besser abgesichert sind. Hier tauchen weniger solche Delikte auf. Aber auf anderen, unter Jugendlichen sehr beliebten Plattformen, tummeln sich Pädophile und andere Täter geradezu. Auch ist Software zum Jugendschutz zwar sinnvoll, aber die Aktivitäten in vermeintlich harmlosen Spielen kann sie gar nicht erfassen.

Woran kann man Sexualtäter im Internet erkennen?

Zum einen gibt es den Erpressertypus, der offen agiert. Er setzt darauf, dass Kinder aus Neugier oder etwa gegen Bezahlung mit ihnen in eine sexuelle Kommunikation treten. So bekommt er Material, mit dem er die Kinder anschließend erpressen kann. Ihm geht es vorrangig um die mediale Befriedigung, das heißt, er will, dass Kinder sich vor der Webcam ausziehen oder berühren bzw. er zeigt sich selbst dabei. Diese Täter verbergen ihre Absicht nicht, die Fragen sind explizit sexueller Natur oder zielen direkt auf eine Skype-Kommunikation. Diese Täter kann man recht gut identifizieren.

Und die anderen?

Die geben sich meist als Personen ähnlichen Alters und gleichen Geschlechts aus. So bringen sie sich als freundschaftlicher Ansprechpartner in Position, um mit dem Kind eine emotionale Verbindung aufzubauen. Irgendwann vertraut der Täter dem Kind dann ein Geheimnis an, etwa dass er älter ist oder anderen Geschlechts. Wenn das Kind dann nicht den Schlussstrich zieht, besteht die Gefahr, dass es zu einem echten Treffen und sexuellem Missbrauch kommt.

Welche Kinder sind betroffen?

Am stärksten gefährdet sind Kinder ab ungefähr zehn Jahren. Hellhörig sollte man dabei werden, wenn sich Kinder ohne anderen Grund stark zurückziehen, in der Schule schlechter werden. Das kann unter anderem ein Hinweis sein, dass diese in den Strudel eines Sexualtäters geraten sind. Zum Teil sind die Opfer auch suizidgefährdet.

Wie sollten Kinder auf solche Angriffe reagieren?

Am besten natürlich gar nicht darauf eingehen. Aber es gibt leider auch eine natürliche Neugierde und Naivität. Die Täter gehen sehr perfide vor. Ein gutes Beispiel ist der Fall der Kanadierin Amanda Todd, die sich das Leben genommen hat. Es heißt immer, Mobbing sei der Grund dafür gewesen. Doch das Mädchen war mit zwölf Jahren in einem Internetportal von erwachsenen Tätern geschickt dazu überredet worden, ihnen Bilder ihrer Brüste zu schicken. Als die Täter die Bilder erhielten, versuchten sie weitere Nacktfotos von ihr zu erpressen. Amanda Todd ging darauf nicht ein. Der Täter veröffentlichte dann die Bilder an ihrer Schule und auf Facebook. Das hat dann erst zu dem Mobbing durch Mitschüler geführt.

Sind auch bei uns Fälle bekannt?

In den letzten Monaten gab es bundesweit mehrere Sachverhalte, die gerichtlich abgeurteilt wurden. Aktuell wird in Niedersachsen ein 13-jähriges Mädchen vermisst. Vor einem Jahr hat ein 53-Jähriger der Polizei bekannter Täter mit ihr in einem Internetportal eine sexuelle Kommunikation aufgenommen. Seit zwei Monaten nun sind beide verschwunden. Ihre Mutter sucht verzweifelt per Facebook nach ihrer Tochter.

Sie gehen mit dem Thema auch an die Öffentlichkeit. Ihre Erfahrungen dabei?

Bei Veranstaltungen stelle ich immer wieder fest, dass ein Großteil der Eltern und Lehrer von der Gefahr durch dieses auch Cyber-Grooming genannte Verhalten überhaupt nichts ahnen. Die Eltern und Lehrer müssen erkennen, dass die Spiele mitunter noch brisanter sein können als klassische Chatportale. Die Spiele sind heute die Medienrealität der Kinder, auch auf mobilen Geräten. Viele Kinder bekommen Smartphones oder Tabletts von ihren Eltern zur Beschäftigung überlassen. Das ist ein großes Risiko, denn die Kinder wissen nicht, was ihnen dort widerfahren kann. Eltern, Lehrer und Medienpädagogen müssen mit den Kindern über die Risiken sprechen. Dafür müssen die Eltern aber erst einmal selbst darüber aufgeklärt werden. Die Erwachsenen sind hier meist viel zu blauäugig.

Braucht es einen anderen Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit?

Die Risiken werden weitgehend unterschätzt. Die aktuellen Erkenntnisse der Kriminologie müssten viel stärker mit dem Bildungsbereich verschränkt werden. Auch weil es sich um Prozesse handelt, die sich permanent verändern. Die Öffentlichkeit muss für die Problematik viel stärker sensibilisiert werden. Eine wichtige Frage ist auch, warum Programme, die solche Risiken bergen, teilweise ohne Altersbeschränkung freigegeben werden. Der Gesetzgeber ist hier gefordert, Reformen im Kinder- und Jugendmedienschutz umzusetzen, die insbesondere die aktuellen Kommunikationsrisiken berücksichtigen. Statistiken besagen, dass heute fast jedes zweite Kind im Internet sexuell belästigt wird.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Thomas Rüdiger ist Kriminologe und Lehrbeauftragter am Institut für Polizeiwissenschaften der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg. Er spricht am heutigen Mittwoch in der Reihe „Potsdamer Köpfe“ über Sexualtäter in Kinder-Chats, um 18 Uhr im Friedrich-Reinsch-Haus, Milanhorst 9 am Schlaatz.

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