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Landeshauptstadt: Einmal mehr aufstehen als hinfallen

Rita Süßmuth erklärte, warum Macht immer noch männlich ist – und wie sie weiblich werden kann

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Rita Süßmuth erklärte, warum Macht immer noch männlich ist – und wie sie weiblich werden kann Von Sabine Schicketanz Die wichtigste Frage des Abends stellte Heiderose Gerber. Allerdings fiel sie der Chefin des Potsdamer Frauenzentrums erst ein, als der Abend schon fast vorbei war – und die Hauptperson bereits enteilt. „Warum“, fragte Gerber, „wird Rita Süßmuth denn nicht Bundespräsidentin?“ Schließlich hatte es ja aus politisch berufenem Munde immer wieder geheißen, man(n) wolle eine Frau nach Rau. In der Antwort auf diese Frage steckte praktisch das ganze Thema dieses Dienstagabends, den 14 Frauen bei Bandnudeln, gefüllten Auberginen und in Anwesenheit Rita Süßmuths im Wiener Café & Restaurant am Luisenplatz verbrachten. Denn die Antwort lautet: Machtstrukturen. Eng gestrickte Netze in der männerdominierten Parteispitze, in denen sich die Frauen auf dem Weg nach oben verfangen wie Insekten im Netz der Spinne. „Glass seiling“ heißt das Phänomen auf Neu-Deutsch, gemeint ist eine gläserne Kuppel, eine unsichtbare Decke, „durch die wir nicht hindurch kommen“, wie es die CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche erklärte, die diesen Abend organisiert hatte. Warum Frauen nicht aufsteigen in die männlichen Sphären, und was sie tun müssen, um die Glasdecke zu durchbrechen, das sollte Rita Süßmuth offenbaren. Sie tat es, auf ihre unnachahmlich herb-sensible Weise, und mit der Weisheit einer 66-jährigen Frau, die in der Politik fast alles erreicht hat. An die Hand gab sie ihren Zuhörerinnen einige politische „Machtressourcen“: Organisationskraft, Konfliktfähigkeit, Kampfkraft, die Mobilisierung auch zur Konfrontation mit dem Gegner, parlamentarische und außerparlamentarische Präsenz, Regierungsbeteiligung. Gleichzeitig kritisierte sie die mediale Darstellung, Frauen befänden sich mittlerweile auf der „Siegerstraße“. Zu behaupten, eine junge Frau könne sich für eine dreijährige Familientätigkeit aus dem Beruf zurückziehen, sei nichts weiter als den Frauen „Sand in die Augen zu streuen“. Diese Ansicht bekräftigte Helene Kleine, Rektorin der Potsdamer Fachhochschule, sofort. „Die Frauen sind an der Macht, nur weil sie schöne Talkshows machen – das ist eine Scheindebatte“, sagte sie. Der berufliche Weg für Frauen sei nach wie vor „sehr hart“, es gebe wenig Unterstützung. „Sich in einer männerdominierten Hochschule Autorität zu verschaffen, kostet richtig physisch Kraft.“ Karin Genrich, Potsdamer Geschäftsfrau und im Jahr 2000 als erste Ostdeutsche zur Europäischen Unternehmerin des Jahres gekürt, meinte, erst mit dem Alter habe sie Anerkennung gefunden. „Mit dem Älterwerden wird man immer mehr als Neutrum betrachtet, nicht als Frau. Und damit auch mehr als kompetent“, sagte die 59-Jährige. Rita Süßmuth konnte mit den Schilderungen der Potsdamerinnen offenbar viel anfangen. Sie kenne sie, die Machtspiele der Männer, die Frauen so ungern mitspielten. „Männer haben damit mehr Erfahrung, wir Frauen denken nicht so.“ Allerdings sei es „für bescheidene Zwischenerfolge“ wichtig, es zu lernen. „Wir können uns ja immer noch etwas Besseres ausdenken.“ Ihr eigenes kleines Machtspiel hat Süßmuth früher mit Kanzler Helmut Kohl gespielt. „Er rief an oder schrieb Briefe, wenn er nicht einverstanden war.“ Doch wollte die Politikerin ihr Anliegen durchsetzen, öffnete sie vor der entscheidenden Sitzung den Brief schlichtweg nicht. „Das hätte mich geschwächt.“ Doch warum können nicht alle Frauen kämpfen wie Frau Süßmuth? Liegt es an ihnen selbst, ihrer „Harmoniesucht“, wie Eva-Marie Meissner, Chefin des Brandenburger Verbands der Unternehmerinnen, meint? Gibt es zwischen Frauen zu wenig Solidarität und zu viel „Stutenbissigkeit“? Stehen Frauen nicht genug dazu, dass auch ihnen Macht Spaß macht? Nicht jede, meint Rita Süßmuth, habe zunächst einmal die physische und psychische Kraft, zu kämpfen. „Die einen kommen dabei um, wenn sie Konflikte aushalten müssen, die anderen stehen“s durch – aber nicht alleine.“ Zudem sei die Rolle der Frau heutzutage höchst unsicher. Selbst ihre eigene Tochter, sagt Süßmuth, sei hin- und hergerissen zwischen Beruf und Familie. „Das Selbstverständnis, beides zu tun, ist nicht gefestigt.“ Und Macht werde von Frauen immer noch als etwas Gefährliches angesehen, nicht als Notwendigkeit für Einfluss und Durchsetzungskraft. Ändern ließe sich die Lage jedoch nicht durch Gesetze. „Wir können nicht warten, bis die Parlamentarierinnen uns das Bett machen. Wir müssen es selbst tun.“ Die Politik könne den Weg lediglich erleichtern – oder erschweren. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hätte die Politik zu spät reagiert. „Wie viele Partnerschaften gehen an Konflikten darüber zu Grunde, wer was macht?“ Frauen müssten lernen, mit Niederlagen umzugehen. „Ich habe aus meinem Scheitern weitaus mehr gelernt als aus meinen Erfolgen. Die habe ich nur eingesteckt.“ Frau solle es mit Churchill halten, riet Süßmuth: „Einmal mehr aufstehen als hinfallen. Es wachsen einem Flügel, wenn man erst einmal anfängt.“ Wer weiß, vielleicht würden Rita Süßmuth ein paar kräftige Flügelschläge reichen, um über die männlichen Machtnetze hinweg zu fliegen. Direkt ins Schloss Bellevue.

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