Landeshauptstadt: Erfolgsrezept
2008 brachte die Firma Filmwerte ihre erste DVD mit historischen Filmen aus Potsdam heraus. 10 000 Mal hat sie sich bisher verkauft. Jetzt dient sie als Vorbild für eine ganze Reihe
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Eilig packen der Fotograf und sein Assistent ihre sieben Sachen. Der eine das große Stativ unter dem Arm, der andere eine Tasche in der Hand, hasten sie in ruckelnden Schwarz-Weiß-Bildern zur Seite, während die Reihen der Soldaten am Stadtschloss vorbei auf sie zu paradieren. Dann ein Schnitt, und statt der Infanteristen zieht die Kavallerie mit wehenden Standarten über den Parade-Platz zwischen Schloss- und Humboldtstraße. Nur zweieinhalb Minuten lang ist der älteste überlieferte Film der Stadt Potsdam – doch er ist gewissermaßen ein echter Kassenschlager. Gedreht hat ihn der 1927 verstorbene Weimarer Hoffotograf und Filmpionier Louis Held am 31. Mai 1910 während der jährlichen Frühjahrs-Parade der in Potsdam stationierten Soldaten und Offiziere des Deutschen Heeres.
Zu sehen ist der Kurzfilm zusammen mit anderen historischen Aufnahmen auf einer DVD, die die Babelsberger Filmwerte GmbH und das Filmmuseum Potsdam vor gut sieben Jahren unter dem Titel „Potsdam wiederentdeckt – Historische Filmschätze von 1910–1959“ veröffentlicht haben. Die Potsdamer Neuesten Nachrichten hatten das Projekt damals als Medienpartner begleitet. Rund 10 000 Mal wurde die DVD seitdem nach Unternehmensangaben verkauft. „Sogar aus Australien und den USA wurde die DVD bestellt“, sagt Claire Dörfer, Projektmanagerin bei Filmwerte.
Beflügelt von der großen Nachfrage hat die kleine Babelsberger Firma inzwischen aus dem Gemeinschaftsprojekt von damals eine erfolgreiche Geschäftsidee entwickelt und sich neben ihrer Haupttätigkeit, der Verwaltung von Filmrechten für Produzenten, ein zweites Standbein geschaffen. Insgesamt neun DVDs zu mehreren deutschen Städten hat Filmwerte seitdem nach gleichem Muster herausgebracht und damit offensichtlich einen Nerv getroffen. 400 000 Euro Umsatz hat das Unternehmen nach eigenen Angaben bislang mit den bewegten Bilden aus vergangenen Tagen gemacht. „Die DVDs sind inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil unseres Geschäfts geworden“, sagt Andreas Vogel, Geschäftsführer der sechsköpfigen Filmwerte GmbH.
Anfang November ist die neueste Edition erschienen – „Nürnberg wiederentdeckt – Historische Filmschätze von 1912–1974“. Außerdem liegen DVDs mit Aufnahmen aus Chemnitz, Halle, Lübeck, Rostock, Leipzig, Erfurt sowie eine zweite mit historischem Material aus Potsdam vor. „Neben den beiden Potsdam-DVDs sind vor allem die Editionen zu Lübeck und Rostock stark gefragt“, sagt Dörfer.
„Die erste Potsdam-DVD hat eine richtige Welle ausgelöst“, sagt die Projektmanagerin. „Wir hatten damals vorsichtig geplant und zunächst nur 2000 Stück produziert. Die waren innerhalb von drei Tagen ausverkauft“. Neben dem Kurzfilm von Held finden sich auf der ersten DVD unter anderem ein Rundgang zu den vermeintlichen Lieblingsorten Friedrichs des Großen aus dem Jahr 1919 sowie ein rätselhafter achtminütiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Das Potsdamer Stadtschloss in Gefahr“ von 1959.
Geboren wurde die Idee für die erste DVD aus der großen Resonanz auf eine Matinee-Reihe des Filmmuseums in Zusammenarbeit mit dem Bundesfilmarchiv. Um die Jahreswende 2006/2007 hatte das Museum in seinem Kino historisches Filmmaterial zu Potsdam gezeigt und wurde regelrecht überrannt. „Es war immer rappeldicke voll“, erzählt Dörfer. Schnell sei damals die Frage aufgekommen, ob man die empfindlichen Kopien, die zum nationalen Filmerbe gehören, nicht auf DVD herausbringen könnte.
Heute dagegen müssen Dörfer und ihre Kollegen selbst auf die Suche nach verborgenen Schätzen der Filmgeschichte gehen. Zur Seite steht ihnen dabei Hans-Gunter Voigt, ehemaliger Mitarbeiter des Bundesfilmarchivs und Vorstandsmitglied im Freundeskreis des Filmmuseums. Schon an der Zusammenstellung für die erste DVD war er beteiligt. „Herr Voigt stöbert in den Archiven und trifft die Vorauswahl. Danach sichten wir gemeinsam das Material und die Detektivarbeit beginnt“, erzählt Dörfer. Denn während die Frage nach den Urheberrechten bei Filmaufnahmen aus der DDR in der Regel aufgrund der Monopolstellung der Defa schnell geklärt sei, gestalte sich die Suche bei älteren Aufnahmen oder Filmen aus der alten Bundesrepublik oft schwieriger. Im Westen seien die Filme oftmals im Auftrag von verschiedenen Fernsehanstalten oder Landesbildstellen entstanden – oder die Rechte lägen eben bei irgendwelchen Privatpersonen. „Immer, wenn man denkt, da gibt es keinen mehr, der noch einen Anspruch erheben könnte, kommt doch noch jemand, die Erben der Erben zum Beispiel“, verdeutlicht Filmwerte-Chef Vogel.
Zu welcher Stadt als nächstes eine DVD erscheint, ist laut Dörfer und Vogel noch nicht heraus. „Jetzt geht es erst mal darum, für die neuesten DVDs den Vertrieb zu organisieren“, sagt die Projektmanagerin. Außer der Nürnberg-DVD sind auch die Editionen zu Halle und Chemnitz diesen Herbst erschienen. Ohnehin sei nicht jede Stadt geeignet, nur weil es historische Filme von ihr gebe, schränkt Dörfer ein. Ein gewisses Potenzial an Käufern müsse es schon geben. „100 000 Einwohner sollte die Stadt schon haben.“ Auch Städte, für die bereits ähnliche Produkte existieren, kämen nicht infrage.
Letztlich aber komme es auf das richtige Bauchgefühl an, sagt Filmwerte-Chef Vogel. „Man muss das Gefühl haben, dass sich die Einwohner mit ihrer Stadt identifizieren, stolz auf sie sind, wie etwa in den alten Hansestädten Lübeck und Rostock – oder eben wie in Potsdam.“
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