zum Hauptinhalt

POSITION: Ermessen, was verloren ging

Wer heute vor dem Schloss steht, begreift das Warum des Wiederaufbaus

Stand:

Es ist ja gar kein Schloss. Jedenfalls steht das in gut lesbarem Französisch auf der Fassade: „Ceci n'est pas un château“. Aber genau wegen dieser entwaffnenden Ehrlichkeit freue ich mich über das neue Schloss. Abgesehen davon, dass es das erste in Potsdam seit dem Bau von Cecilienhof vor 100 Jahren ist, steht wieder, was Walter Ulbricht 1959/60 aus der Stadt heraussprengen ließ – und das ist gut so. Denn entscheidend ist für mich, dass es nicht stehen würde, hätten die Bürger nicht zäh und ausdauernd dafür gestritten.

Die Debatte um den Wiederaufbau des Schlosses, die 2005 mit dem Neubaubeschluss für einen Landtag begann, hat viel und viele bewegt. Die Möglichkeiten zeitgenössischen Bauens wurden genauso intensiv diskutiert wie die Chancen für eine behutsame Reparatur von Stadtbaukunst, die durch die Flächenabrisse der DDR vernichtet wurde. In Potsdam wurde also beispielhaft vorgeführt, wie die Wiedererrichtung eines einstigen Herrschersitzes zur demokratischen Bauaufgabe werden kann.

Aus der Managementtheorie kennen wir das Vier-Seiten-Prinzip. Danach sitzen Macher, Unterstützer, Skeptiker und Gegner eines Projektes an den vier Seiten eines Tisches. In Potsdam wurde kräftig auf diesen Tisch gehauen, mitunter das Tischtuch zerschnitten, am Ende aber doch wieder geflickt. Auch weil sich mit Fernsehmoderator Günther Jauch und dem Software-Unternehmer Hasso Plattner zwei Unterstützer fanden, die keineswegs der Nostalgie verdächtig sind, sondern für unsere gesellschaftliche und technische Gegenwart stehen. Mit ihren Millionenspenden für das Fortunaportal beziehungsweise für Fassade und Kupferdach wurden sie zu Pionieren des Wiederaufbaus, für den sich die Bürgerinitiative „Mitteschön“ und der Stadtschloss-Förderverein so unbeirrt eingesetzt hatten. Als Ergebnis bestätigt dieser Wiederaufbau nun die Theorie – und ist außerdem überzeugend. Ich gestehe, dass ich zu den Skeptikern gehörte und heute ein Befürworter bin.

Denn erstens leugnet dieses Schloss nicht, ein Neubau zu sein. Aber einer, der zwischen „alt“ und „modern“ vermittelt. Darum ist er auch der beste Ort für jene 300 Spolien des zerstörten Stadtschlosses, die von unserer Stiftung bewahrt und von Architekt Peter Kulka in die Fassade integriert wurden. Zweitens ist das Haus wieder Dreh- und Angelpunkt einer Stadtstruktur, die zuvor gar nicht mehr erfahrbar war. Altes Rathaus, Nikolaikirche und künftig auch der Palast Barberini haben wieder ein Gegenüber, das die räumlichen Proportionen im Stadtkern zurechtrückt. Wer also heute vor dem Schloss steht, begreift das Warum des Wiederaufbaus, begreift, wie leer der Platz und damit die Stadt war – und wie sehr die Potsdamer diese Leere leid waren. Es steht wieder in Beziehung, was ohne das Schloss beziehungslos geblieben war. Ich meine allerdings, dass, wer A sagt, auch B sagen muss: Die ursprünglichen Verbindungen zur Havel, zum Neptunbecken und zum Lustgarten sollten zumindest wieder erkennbar werden.

Wer die Außenmauern durchschritten hat, trifft drinnen auf schlichte Funktionalität. Außen Knobelsdorff, innen Kulka – und den Übergang markiert das Treppenhaus. Ehemals entfaltete sich hier barocke Pracht, an die noch vier versehrte Atlanten erinnern. Sie überdauerten in unserem Depot und stützen jetzt wie einst die Decke. Alles Übrige ist makellos weiß, statt des historischen Geländers gibt es eine skulptural geschwungene Wand. Hier sieht jeder, wie viel eigentlich fehlt, hier ist zu ermessen, was durch Krieg und ideologischen Kleingeist tatsächlich verloren ging.

Zugleich wird hier jedoch auch augenfällig, was mit dem Schloss-Neubau gewonnen wurde.

Es ist eben nicht mehr die repräsentative „Wohnarchitektur“ eines preußischen Königs, sondern die Versammlungsstätte einer Demokratie. Souverän im Haus ist jetzt der Bürger. Natürlich kann, wer ein Schloss baut, nicht auf äußere Hierarchieformen wie Sockel, Portikus oder Giebel verzichten. Doch die ästhetische Ungezwungenheit des Inneren, die Formen der Zugänglichkeit, die Peter Kulka gefunden hat, machen sichtbar, dass es hier um den offenen Meinungsaustausch geht, dessen Akteure alle fünf Jahre neu gewählt werden.

Ceci n'est pas un château? Doch, es ist ein Schloss, ein „Landtagsschloss“! Das Wort bringt es auf den Punkt. Und allen, die hier fortan tätig sein dürfen, wünsche ich für ihre Arbeit den Mut, den all jene hatten, die den Wiederaufbau vorangebracht haben.

Der Autor ist Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Hartmut Dorgerloh

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })