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Mag Potsdam als Tatort. Raimon Weber hat für seinen neuen, blutigen Krimi gründlich in Potsdam recherchiert. Im Café Heider trifft sein Kommissar einen Informanten.

© Johanna Bergmann

Krimi aus Potsdam: Ermitteln mit „Mocca Fix“

Vier seltsame Morde passieren im November 1989 in Potsdam – im neuen Krimi von Raimon Weber. Freitagabend liest er aus seinem Buch „Die Blutmauer“ vor.

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Als im Winter vor 27 Jahren die Mauer bröckelt, findet man eine Leiche am Jungfernsee. So beginnt der neue Krimi von Raimon Weber. Er spielt in einem Land, in dem sich eben doch nicht alle über die neue Freiheit freuen. Für so einige DDR-Bürger ist der Umbruch höchst unangenehm. Löst Unsicherheit und Ängste aus. Im November 1989 muss es chaotisch zugegangen sein in Behörden und Ministerien, vermutet Weber, die Stasi vernichtet Akten – und die Polizei übt vorsichtig das selbständige Arbeiten. In diesem Szenario ist das Buch „Die Blutmauer“ angesiedelt. Am morgigen Freitagabend liest Raimon Weber daraus vor.

„Ich fand das sehr spannend. Ein Land löst sich praktisch auf. Was passiert da mit den Menschen?“, sagt Weber, der aus einer Kleinstadt in Westfalen stammt. Potsdam sei der perfekte Ort für den Psychokrimi gewesen. Überschaubar in der Größe, gelegen neben West-Berlin und dadurch mit reichlich Grenzkontakt und zudem reichlich historischer Bausubstanz versehen – im DDR-typischen Verfall. Für einen Krimiautor bot das eine ideale Kulisse.

Schon einmal hat Weber hier ermitteln lassen, von seinem „Privatdetektiv Morgenstern“ gibt es vier Bände. Damals hatte Weber nicht mit den superkritischen Potsdamer Lesern gerechnet, die ihn, den Ortsunkundigen, auf kleinste technische Fehler aufmerksam machten. Deshalb hat Weber dieses Mal besonders gut recherchiert, im Stadtbild als auch in Potsdams Vergangenheit. Schließlich spielt „Blutmauer“ in einer sensiblen Zeit. Selbst diejenigen, die sie erlebt haben, wussten und wissen längst nicht alles, was sich damals hinter den Kulissen abspielte – der Schredder war das Bürogerät der Stunde.

Im März dieses Jahres hielt sich Weber deshalb länger in Potsdam auf, besuchte besondere Orte, den früheren Mauerverlauf, das ehemalige Grenzgebiet am Jungfernsee, aber auch das Café Heider und das Babelsberger Restaurant Hiemke. Weber lässt hier Szenen des Buches stattfinden. Außerdem traf er sich mit ehemaligen Volkspolizisten. „Ich wollte wissen, wie die damals gearbeitet haben“, sagt Weber.

Sein Potsdamer Kommissar, Hauptmann der Volkspolizei, heißt Martin Keil und soll eine Mordserie aufklären. Die erste Leiche wird, übel zugerichtet, im Mauerstreifen hinter der Grenze am Jungfernsee gefunden. Es ist ein hochrangiger Lokalpolitiker, und normalerweise hätte sich sofort die Stasi eingemischt – aber die gibt es in der Form bereits nicht mehr. Keil hat dadurch plötzlich freie Hand beim Ermitteln, es kommen keine Befehle mehr von oben. Daran muss er sich erst gewöhnen. Die Stasi kommt ihm natürlich doch in die Quere, alles andere wäre unrealistisch gewesen, sagt der Autor. Bald werden es mehr Leichen. Eine wird im verfallenen Holländischen Viertel gefunden, das kann man sich heute, angesichts der vollendeten Sanierung des hübschen Quartiers, nur noch schwer vorstellen.

Dann gibt es noch einen kleinen aber tödlichen Ausflug ins Umland, einen Besuch einer „Mitropa“-Raststätte auf der Transit-Autobahn, und die Witwe des ersten Toten wohnt in der Waldstadt-Platte, inklusive beflissenem Hauswart, der das Hausbuch verwaltet. Weber hat das Ost-Kolorit hübsch zusammengetragen, das Volk fährt Trabi und Wartburg, und die Polizei residiert in der Bauhofstraße, die heute Henning-von-Tresckow-Straße heißt. Dort raucht der Hauptmann „Club“-Zigaretten in einem drögen Büro. Er trinkt „Mocca Fix“ und kocht abends Nudeln mit Letscho, das dem unbedarftem Leser als – nicht ganz korrekt, aber fast – „ungarisches Schmorgericht aus Paprika, Tomaten und Zwiebeln“ erklärt wird.

Wenn er denn mal kocht, denn ganz nach heutiger „Tatort“-Manier ist auch dieser DDR-Hauptmann eine einsame Kreatur, traumatisiertes Heimkind und Eigenbrödler mit Bindungsphobie, obwohl er in die Gerichtsmedizinerin schwer verliebt ist. Ein bisschen übertreibt es der Autor mit seiner Retro-Vorliebe dann aber doch, wenn der arme Hauptmann in seiner Altbaubutze in der Tuchmacherstraße so gut wie nie warmes Wasser zum Duschen hat – das kam 1989 nur noch höchst selten vor. Und auch, dass sein Kumpel noch mit Propangas kocht, ist eher ungewöhnlich. Soll es aber gegeben haben, schwört Weber. Niedlich ist es indes, wenn es heißt, der „Vopo“ habe „in der Vergangenheit hin und wieder WestFernsehen angesehen“. Nur hin und wieder? So brav und verbohrt war in Potsdam mit dem vielleicht besten West-Fernsehempfang in der ganzen Republik wohl keiner, nicht mal die Polizei.

Spannend ist es allemal, spätestens als eine geheime Organisation auftaucht, von der nicht mal die Stasi wusste. Am Ende kommt alles ganz anders als man denkt. Es scheint zunächst, dem Autor fiel zuletzt nichts anderes mehr ein, als alles mit einer Prise Science-Fiction aufzulösen. Das stimmt nicht, sagt Weber. „Hat es alles so gegeben.“ Er hat sich mit dem Thema Menschenversuche intensiv beschäftigt. Und sollte es tatsächlich so gewesen sein, dann gruselt es einen umso mehr bei diesem speziellen Rückblick auf die DDR.

Lesung am morgigen Freitag, dem 25. November, um 19 Uhr im Salon Ganse, Mittelstraße 13. Die PNN verlosen eine private Wohnzimmerlesung mit Raimon Weber. Bitte schreiben Sie uns in einer E-Mail an potsdam@pnn.de mit dem Betreff „Krimilesung“, warum die Lesung gerade bei Ihnen stattfinden soll. Vergessen Sie nicht, Ihren Namen und Ihre Adresse anzugeben.

 

 

 

 

 

Raimon Weber: Die Blutmauer. Ullstein Taschenbuch, Berlin 2016, 269 Seiten, 9,99 Euro.

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