Landeshauptstadt: Ernst, das Einhorn statt Ampelmännchen
Seit eineinhalb Jahren entwirft Moritz Baur in einem Hinterhaus in der Charlottenstraße Kunst, die man tragen kann. Jetzt startet die zweite Kollektion seiner „Rotholz-Streetwear“
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Es sei mehr Kunst als Kleidung, was er produziere, sagt Moritz Baur. Natürlich sind die lässigen T-Shirts, Sweats, Hoodies (Kapuzen-Shirts) und College-Jacken, wie es im anglophonen Jungunternehmerjargon heißt, zum Tragen gedacht, aber sie sind eben etwas Besonderes.
Der gelernte Grafiker Baur gründete vor eineinhalb Jahren sein Modelabel „Rotholz“, ab dem heutigen Dienstag ist die zweite Kollektion zu haben, entweder via Onlinehandel, im „Writer’s Heaven“ in der Brandenburger Straße oder direkt in der Werkstatt in einem Hinterhaus der Charlottenstraße 88. Dort lohnt sich ein Besuch nicht nur wegen des Erwerbs einer neuen Klamotte, auch die Atmosphäre hat etwas Besonderes. Die verwinkelten Räume, die sich Baur mit einem Musikproduzenten der Techno-Branche teilt, atmen das Flair eines modernen Tapferen Schneiderleins.
Die Zeiten, in denen hier mit Nähmaschine, Druckplatten, Schablonen und Bügeleisen Einzelstücke entstanden, sind allerdings fast vorbei. Das Geschäft läuft gut, sagt Baur. Wer ein Stück erworben hat, kauft oft noch ein zweites, es sind Sammlerobjekte, und das Thema „Streetwear“ spricht viele an: Studenten, Schüler, Künstler. Dabei gibt es gerade im Berliner Raum Hunderte, die mit der schnellen Produktion von Shirts schnelles Geld machen wollen. Doch Baur macht von Anfang an keine Billig-Klamotten, die bei der ersten Wäsche fusseln und auseinanderfallen. Kein touristischer Ampelmännchen-Druck auf dünnen Hemdchen.
Für die spezielle Rotholz-Haptik verwendet Baur nur Qualitätswaren, teils fair gehandelt, meist aus Mischungen von organischer Baumwolle oder recyceltem Polyester, „also alte Wasserflaschen“, sagt er. Anschließend werden die Stücke mit seinen Bildern und Collagen veredelt, wird die Kleidung bedruckt. Totenköpfe, Äpfel, Buchstabenspielereien, Punktmotive und Farbkleckse verwandeln das Rohmaterial in „Street Couture“. Oft in kleinen Auflagen bis zu 200 Exemplare, manchmal als Einzelstück.
Die zweite Kollektion soll nun in größeren Auflagen und Serien, teils im Siebdruckverfahren, produziert werden, vom Berliner Druckverein und Behindertenwerkstätten. Einzelstücke und Sonderwünsche gibt es nur noch gegen das entsprechende Entgelt.
Farblich beschränkt sich Baur auf Schwarz, Weiß und Grau. Die Druckmotive sind kleine Kunstwerke, filigrane Zeichnungen, Kollagen, Linolschnitte. Maskottchen und Zugpferd ist „Ernst“. Das weiße Einhorn prangt auf etlichen Stücken, und bald, sagt Baur, bekommt das Fabelwesen seine eigene Facebookseite. Das Märchenwesen soll die Ikone des Labels werden, und damit es nicht so einsam ist, hat es „Torsten The Storch“ zur Seite bekommen.
Man muss wahrscheinlich ein bisschen verrückt sein, so eine Geschäftsidee durchzuziehen. Klar hätten es seine Eltern lieber gesehen, er hätte sich nach der Ausbildung was „Anständiges“ gesucht, sagt er. Stattdessen besuchte er Buchhaltungskurse der IHK, die ihn unterstütze. Buchhaltung, Organisatorisches, das sei nicht so seins. Er ist der Künstler. Gern würde er, wenn es dann noch besser läuft, solche notwendigen Jobs anderen übertragen und nur noch kreativ tätig sein, neue Entwürfe fertigen, gern auch mal wieder eine Ausstellung mit Bildern und Collagen machen, aber ihm fehle die Zeit, sich darum zu kümmern.
Was mit einer spinnerten Idee während eines Schulaufenthaltes in den USA begann, als er seine erste, im Keller gefertigte Serie aus einem VW-Bus heraus auf dem Campus und in Skateparks vertickte, ist mittlerweile zu einer ordentlichen Geschäftsidee geworden. Baur freut der Erfolg, gern soll die Firma wachsen, das Label aber exklusiv bleiben.
Lust hätte er allerdings, einmal mit Wolfgang Joop zusammenzuarbeiten. Vielleicht sollte er dem Potsdamer Modeschöpfer mal ein T-Shirt ’rüber schicken. Joop sei schließlich bekannt dafür, hin und wieder jungen Leuten eine Chance einzuräumen, so habe einmal ein stadtbekannter Graffitikünsler für ihn Stoffe entworfen, meint Baur.
Grundsätzlich will Moritz Baur bei dem Prinzip, aus fertiger Rohware Designerstücke zu basteln, bleiben. Alles komplett selber zu nähen, sei viel Arbeit. Wem die Oberbekleidung nicht reicht, der kann auf Mützen, Schals und Taschen zurückgreifen. Ob einst eine Jeanskollektion oder die Damenunterwäsche mit Ernst dem Einhorn kommt – Moritz Baur lächelt und sagt nicht ja noch nein.
Info: www.rotholz-clothing.com
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