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Die Gymnasiastin Amei Stock liest in einem Bildband über die DDR.

© Michael Urban

Landeshauptstadt: Erschreckende Wissenslücken zur DDR Heftige Diskussion über Geschichtsvermittlung

Der 18-jährige Gymnasiast Lars findet, dass er sich mit der DDR außerordentlich gut auskennt. „Das war ein sozialistisches Land, das seine Bewohner überwacht hat.

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Der 18-jährige Gymnasiast Lars findet, dass er sich mit der DDR außerordentlich gut auskennt. „Das war ein sozialistisches Land, das seine Bewohner überwacht hat. Es gab aber auch gute Seiten wie sichere Arbeitsplätze“, sagt der junge Mann von der Oranienburger Torhorstschule. Selbst der Staatschef Erich Honecker ist ihm ein Begriff: „Der stand bis zum Schluss auf der Tribüne, hat gewunken und seine Propaganda gemacht“, sagt Lars und erklärt sein Wissen mit der eigenen Familiengeschichte. „Mein Vater saß wegen Republikflucht im DDR-Gefängnis. Der erzählt viel und ist bis heute schlecht darauf zu sprechen.“

Mit seinen Kenntnissen ist Lars für Brandenburger Verhältnisse offenbar überdurchschnittlich gebildet. Denn laut dem Ergebnis einer Umfrage der Freien Universität Berlin wissen Brandenburger Gymnasiasten ansonsten weniger über die DDR als bayerische Hauptschüler. Und auch Lars'' Geschichtslehrerin Dagmar Jurat pflichtet der Studie bei. „Die Wissenslücken sind erschreckend. Obwohl das alles durchgenommen wird, bleibt nichts bei den Schülern hängen“, sagt Jurat und verweist auf das Ergebnis eigener Tests.

Inzwischen erhitzt das Thema auch auf politischer Ebene die Gemüter. Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) wird vom Koalitionspartner CDU und den Grünen vorgeworfen, der Brandenburger Lehrplan berücksichtige die DDR nur unzureichend. Rupprecht hingegen verwies darauf, dass „der Geschichtsunterricht eine geringe Prägewirkung“ habe.

Neuerlichen Zündstoff in die Kontroverse brachte nun ein Brief der 18-jährigen Schülerin Amei Stock aus Woltersdorf. In dem Schreiben, das die Gymnasiastin an Rupprecht, mehrere Landtagsmitglieder und Zeitungsredaktionen verschickte, gibt sie an, noch nie etwas in der Schule von der DDR gehört zu haben. „Den Nationalsozialismus hatten wir jetzt vier Mal dran, die DDR noch nie.“ Was sie von der Diktatur östlich des Eisernen Vorhangs wisse, habe die in Hessen geborene Frau ausschließlich von ihrem Vater, einem überzeugten Systemgegner der DDR, erfahren. „In der Schule wird das Unrecht nicht thematisiert. So, als gäbe es keine Stasi und Unterdrückung.“

Schuld daran ist aus der Sicht von Amei Stock der Brandenburger Lehrplan. Anstatt das Thema der DDR und seiner Unrechtsgeschichte stärker zu berücksichtigen, überlasse man „die politische Bildung lieber dem Kino mit Spaßfilmen wie ''Good Bye Lenin'' und ''Sonnenallee'', moniert Stock. „Damit fängt eine Geschichtsverklärung an. Und die ist besonders gefährlich bei denen, die kein Abitur machen.“

Die Thesen Stocks, deren Vater ein erfolgreicher CDU-Kommunalpolitiker in Woltersdorf ist, nimmt der Minister ernst. Derzeit reist der ehemalige Geschichtslehrer Rupprecht mit Zeitzeugen durch Brandenburger Schulen und diskutiert. Geschichtslehrerin Jurat findet, dass das Thema DDR im Rahmenlehrplan DDR ausreichend berücksichtigt ist. „Die DDR wird in der 10. Klasse behandelt und für Gymnasiasten wird das Thema in der 13. Klasse nochmals vertieft.“

Die Lehrerin mahnt auch eine differenzierte Analyse der Geschichtsunwissenheit an. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch alle behandelten Epochen. Man kann genauso gut fragen, wer Albert Einstein oder Helmut Kohl sind, und bekommt keine Antwort“, sagt Jurat. Die Probe auf dem Schulhof der Torhorstschule gibt der Lehrerin recht. Die Frage nach dem Einheitskanzler erwidern viele mit ungläubigen Blicken. Und selbst der eigentlich geschichtsversierte Lars kann sich nur noch an die äußere Form Kohls erinnern: „Das war doch dieser dicke Mann, oder?“ Michael Klug

Michael Klug

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