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Landeshauptstadt: Erst hässliche Worte, dann hässliche Taten

Wenn ein Lehrer zuschlägt, wird allzu gern geschwiegen. Dabei ist das nicht so selten wie angezeigt wird, sagt Angelika Bachmann

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Die Rohrstöcke sind aus den Klassenzimmern verschwunden, die Prügelstrafe abgeschafft und das Grundgesetz ermöglicht Kindern das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Soweit die Theorie. Allein in den vergangenen beiden Schuljahren sind im Land Brandenburg sieben Fälle aktenkundig geworden, in denen Lehrer Schüler geschlagen haben. Inakzeptabel, vor allem die Aufarbeitung der Fälle, nennt Angelika Bachmann das. Bachmanns Tochter war selbst Opfer von Lehrergewalt, sie hat ihren Fall an der Grundschule Zossen damals öffentlich gemacht. Nun hilft sie mit dem Verein Lernen ohne Angst (LOA) anderen Eltern und Schülern, die weniger Mut haben, sich gegen Lehrer und gelegentliche Willkür zu wehren.

Die Dunkelziffer ist hoch, in Wahrheit gebe es allein in Brandenburg mehr als doppelt so viele Vorfälle wie durch Anzeigen bekannt geworden sind, sagt Bachmann. Das teilte sie auch Minister Holger Rupprecht in einem Schreiben mit. Und dass sie die Art und Weise seiner Argumentation missbilligt. Denn Rupprecht hatte erklärt, den Übergriffen von Lehrern seien Provokationen der Schüler vorausgegangen. In einem Fall kam ein Schüler zwei Minuten zu spät zum Unterricht. Im späteren Strafantrag der Familie gegen den Sportlehrer der Jahn-Oberschule Luckenwalde wird die Situation wie folgt geschildert: „Ja Herrschaften, ich wollte vor zwei Minuten mit dem Unterricht beginnen und ihr seid schon wieder zu spät.“ Es folgten die üblichen Sprüche von Teenagern: „Ey Mann“, „Ist doch meine Sache“ und „Ist ja gut Mann“. Die Situation eskalierte, der Sportlehrer griff den Jungen am Hals und schob ihn raus. Der Zwölfjährige brüllte, „Fassen sie mich mal nicht an, Sie hässlicher Spast, ich lasse mich nicht von Lehrern anfassen.“ Und weiter, „Lassen Sie mich los, Sie hässlicher Ficker.“

Was danach passierte, wird unterschiedlich berichtet. Sowohl dem Schulamt als auch dem Ministerium sind die folgenden Szenen anders bekannt, auch der Lehrer widerspricht dem. Der Schüler aus Luckenwalde gibt in dem Strafantrag zu Protokoll, der Lehrer habe ihn kurz losgelassen, jedoch danach am Hals gepackt, den Kehlkopf eingedrückt, ihn an die Wand gepresst und leicht angehoben.

Der Lehrer habe nicht gewürgt, aber nachdem der Schüler massiv gestört habe, habe der Lehrer ihn am Nacken gepackt und rausgeschoben, lautet die Variante aus den Ministerien. Der Schüler wird seitens der Schule als problematisch charakterisiert. Alls einer, der sich gerne prügelt und „nicht nur mit diesem Lehrer Probleme hat“, hieß es. Das sei kein Grund, körperliche Gewalt anzuwenden, sagte Angelika Bachmann. Jugendliche dürften nicht stigmatisiert werden. Vor allem müssten sie merken, dass sie ernst genommen werden.

Davon könne bei dem Fall in Luckenwalde keine Rede sein: Der Schüler wurde vom Sportunterricht suspendiert, das Verfahren der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Lehrer ist gegen einen Geldstrafe von 500 Euro eingestellt worden. Die Dienstaufsichtsbeschwerden, die die Mutter des Jungen gegen den Schulrat Hans-Erwin Baltrusch schrieb, sind noch immer im Verwaltungsgang. Und der Sportlehrer war trotz Bitten der Mutter und des Vereins „Lernen ohne Angst“ zu Beginn diesen Schuljahres erneut Sportlehrer des zuvor attackierten Schülers. Seitdem haben sich die Ereignisse überschlagen, allerdings wurde der Lehrer in der vergangenen Woche nach den Anfragen dieser Zeitung erneut aus der Klasse genommen.

Seitens des Ministeriums hieß es, die Schulleitung könne im Rahmen ihrer Möglichkeit entscheiden. Und zu den Möglichkeiten gehöre es, einer Klasse einen anderen Lehrer zu geben. „Während mir seitens der Schule Verständnis vorgegaukelt worden ist, wurde nicht gehandelt“, sagt die Mutter des Jungen. Es sei nicht der erste Fall von Lehrergewalt in ihrer Familie. Schon ihr größter Sohn sei in der Schule geschlagen worden – auf einer Podiumsdiskussion habe er den Fall damals gegenüber Bildungsminister Steffen Reiche öffentlich gemacht. Im Nachhinein hatte der heute 19-Jährige erklärt, die ständige Angst vor der Schule habe ihn beeinflusst und in die Drogenszene rutschen lassen. Trotz eines IQs von 134 hat er keinen Realschulabschluss.

Regionale Besonderheiten der Vorfälle gibt es laut Bachmann nicht, nur Auffälligkeiten bei Schülern und Lehrern. Meist seien Sportlehrer und ältere Lehrerinnen in die Vorfälle involviert. Bei den Kinder sind laut Bachmann alarmierende Symptome, wenn Erstklässler nach sechs Wochen nicht mehr in die Schule wollen, öfter Bauch- und Kopfschmerzen haben oder gar wieder einpullern.

Wegen ihrer körperlichen Gewalt gegen Erstklässler muss sich nun eine Lehrerin vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen verantworten. Die Schulleiterin einer Schule in Zossen ist dagegen nach langer Krankheit kürzlich wieder zum Dienst erschienen. Als Außenwirkung der Heimlichtuerei und Verschleierung der Taten sieht Bachmann, dass Eltern und Schüler resignieren. Schule sei ein öffentlicher Raum, da dürfe nicht weggeschaut werden, sagte Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Jan Brunzlow

Der Verein im Internet

www.lernen-ohne-angst.de

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