Landeshauptstadt: „Es besteht ganz viel Redebedarf“
Behinderte Frauen knüpfen sich ein Netzwerk
Stand:
Behinderte Frauen knüpfen sich ein Netzwerk Von Sandra Havenith Sie fühlen sich gleich doppelt benachteiligt: Frauen und Mädchen mit Behinderung. Um ihre Anliegen mit Nachdruck zu vertreten und ihnen eine Stimme in der Öffentlichkeit zu geben, kämpft für sie in Brandenburg seit März ein Netzwerk. „Es besteht ganz viel Redebedarf“, sagt die Vorsitzende Kerstin Huch. Sie ist beispielsweise über die geltenden Bestimmungen im Strafgesetzbuch zu sexuellen Übergriffen empört: Sind Frauen mit Behinderung die Opfer, fällt die Strafe geringer aus als im Falle Nichtbehinderter. Der Grund: weil nach Paragraf 179 beim sexuellen Missbrauch „widerstandsunfähiger Personen“ weniger kriminelle Energie nötig sei. Das betrifft vorwiegend Frauen und Mädchen mit geistiger Behinderung. Die Folgen sind seelische Störungen und lebenslange Schäden. Eine „unmögliche Verfahrensweise“, urteilt Huch. „Daran erkennt man, welchen Stellenwert solche Frauen haben: einen ganz geringen.“ Dabei werden Frauen mit Behinderung rein statistisch vier mal so häufig Opfer sexueller Gewalt als Nichtbehinderte. Inzwischen wird bundesweit für die Rechte dieser Frauen gekämpft. Neben dem Bundesnetzwerk in Kassel, das 1999 gegründet wurde, sind es aber vor allen Dingen die alten Bundesländer, die sich engagieren. In Ostdeutschland gibt es dagegen bisher nur wenige Anlaufstellen für Betroffene. Das noch junge „Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinderung“ in Brandenburg finanziert sich ausschließlich durch Spenden und unterhält ein Büro an der Fachhochschule Potsdam. Es möchte besonders diejenigen erreichen, die in abgelegenen Landstrichen, zum Beispiel in der Prignitz, leben und mit ihren Ansprüchen wie Wünschen allein bleiben. „Damit die Frauen ihre Rechte kennen lernen und auch durchsetzen können“, betont Huch. Ziel ist es daher, sowohl in politischen Gremien mitzuwirken als auch Betroffenen Angebote zu machen, die ihren spezifischen Bedürfnissen gerecht werden. Gerade das Thema Sexualität hat für behinderte Frauen weit mehr Bedeutung als für behinderte Männer: Neben der gesetzlichen Schieflage ist vor allem die Familiengründung und das Recht der Frauen auf Fortpflanzung heftig umstritten. „Behinderte Frauen werden immer noch häufig unter Druck gesetzt und zur Sterilisation genötigt“, berichtet die Netzwerk-Vorsitzende. Körperliche und geistige Behinderung würden gleichgesetzt und auch den Frauen, die dazu in der Lage wären, ein Kind zu erziehen, das Recht auf Familiengründung abgesprochen. Obendrein haben behinderte Frauen nur wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sind sie beschäftigt, verdienen sie wie nichtbehinderte Frauen weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. 1999 seien in Deutschland 28,9 Prozent der behinderten Männer, aber nur 20,1 Prozent der Frauen berufstätig gewesen. Schönheitsideale und der gesellschaftliche Druck, mit dem schon nichtbehinderte Frauen massiv konfrontiert werden, bedeuten für behinderte Mädchen und Frauen eine doppelt hohe Belastung. Dafür will das Netzwerk der Gesellschaft die Augen öffnen und auch die Behindertenverbände zum Reagieren bringen. Die Führungspositionen der Verbände nehmen nämlich nach Kenntnis des Netzwerks noch meistens Männer ein. Netzwerk f. Frauen und Mädchen m. Behinderung: Tel. (0331) 580 11 38; E-Mail: frauennetzwerkbrandenburg@fh-potsdam.de
Sandra Havenith
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: