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Historikertreffen in Potsdam zu Multikultkulturellem Militär: „Es deuten sich Loyalitätskonflikte an“

Der Historiker Sönke Neitzel im PNN-Gespräch über Diversität im Militär, was Multikulturalität für die Bundeswehr bedeutet und warum schon die Wehrmacht multiethnisch war.

Stand:

Herr Neitzel, die Bundeswehr wird zunehmend multiethnisch und multireligiös. Was bedeutet dieser Wandel, aus Sicht des Historikers?

Das ist zum einen eine große Herausforderung, zum anderen aber auch eine große Chance. Die multiethnische und multireligiöse Diversität in Streitkräften ist eine ganz alte Geschichte. In der Antike gab es das schon, auch die Römer haben mit einer Vielzahl von Hilfsvölkern gekämpft, in der Frühen Neuzeit waren nahezu alle Streitkräfte multikonfessionell und multiethnisch. Auch heute stützen sich die westlichen Armeen einerseits auf lokale Kräfte, die etwa als Übersetzer oder Kulturmittler Dienst tun. Aber auch die kämpfende Truppe selbst wird angesichts der Globalisierung heterogener, was ganz neue Herausforderungen für die Kohäsion der Einheiten stellt.

Und die Chancen?

Die Bundeswehr verfügt so zum Beispiel über Soldaten mit Sprach- und Kulturkenntnissen, die sie früher nicht hatte. Die Zahl der fließend Arabisch oder Russisch sprechenden Soldaten war vermutlich noch nie so hoch wie heute.

Kann man denn sagen, dass eine bunt gemischte Truppe eher von Nutzen oder von Nachteil ist?

Nein, das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man denke nur an das Zarenreich, das im 19. Jahrhundert die Kosaken als militärisch besonders befähigte Reitertruppen sowohl in den Imperialkriegen im Kaukasus als auch im Kampf gegen das Osmanische Reich einsetzte. Großbritannien hat seit 1817 Soldaten aus dem Westen Nepals, die sogenannten Gurkhas, rekrutiert. Noch heute gibt bis zwei Bataillone im Rahmen des britischen Heeres, die unter anderem auf den Dschungelkampf spezialisiert sind.

Und in der Bundeswehr?

Alle Bundeswehrangehörige müssen deutsche Staatsbürger sein, daher gibt es zu den Gurkhas kein Pendant. Aber es gibt natürlich etliche Soldaten mit Migrationshintergrund. Russlanddeutsche sind vor allem in den Kampftruppen zu finden. Bei den Fallschirmjägern gibt es offenbar einzelne Züge mit 30 bis 40 Mann, die weitgehend aus Russlanddeutschen bestehen. Offenbar nutzt die Bundeswehr hier bestimmte Eigenschaften für spezifische Aufgaben. Forschungen gibt es dazu aber noch nicht. Die Fähigkeiten bestimmter Volksgruppen in eigenen Einheiten zu bündeln, ist freilich auch eine schon lange bekannte Sache, das gab es schon bei den Römern.

Wie konnten solche bunt gemischten Truppen gemeinsam und zielgerichtet handeln? Es gibt doch viele Barrieren, Sprache und Glaube etwa.

Das kann ein großes Problem sein, hängt aber davon ab, in welchem Ausmaß es der Führung gelingt, die Einheit zusammenzuschweißen und ihr eine eigene Identität zu geben. Nehmen Sie die französische Fremdenlegion. Das war und ist traditionell ein ganz bunter Haufen. Aber die Amtssprache war Französisch. Und das französische Offizierskorps hat es immer geschafft, aus dieser Diversität eine kampfkräftige Einheit zu bilden. In anderen Fällen lief das wiederum nicht so gut.

Zum Beispiel?

Etwa bei den muslimischen Bosniern, die im Zweiten Weltkrieg in der Waffen-SS dienten. Ein Lieblingsprojekt von Heinrich Himmler. In ihrer bosnischen Heimat kämpften sie, als sie nach Norden abrücken sollten, hatten sie kein Interesse mehr, für die Deutschen in die Schlacht zu ziehen. Die Frage ist immer auch, warum kämpfte jemand für ein anders Land? Bei der deutschen Wehrmacht gab es beispielsweise Freiwilligenmeldungen von Franzosen, die meist politisch begründet waren. Vom soldatischen Handwerk verstanden diese Männer wenig, zudem stießen sie oft auf Vorurteile der deutschen Ausbilder. Es stellt sich immer auch die Frage, ob eine Armee überhaupt in der Lage und willens war, mit der komplexen Gemengelage multinationaler Streitkräfte umzugehen.

Bei deutschen Streitkräften denke ich eigentlich eher an eine homogene Truppen.

Ein großer Irrtum! Im Kaiserreich gab es in den Grenzen von 1914 schließlich drei Millionen Polen, 200 000 Franzosen und Tausende Dänen, von denen der wehrpflichtige Teil auch in die Streitkräfte eingezogen wurde. Selbst im Zweiten Weltkrieg gab es eine halbe Millionen Polen in der Wehrmacht. Diese durchliefen ganz unterschiedliche Laufbahnen, waren zum Teil hochdekoriert. Es ist mitnichten so, dass die Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg monoethnisch waren. Gerade die Waffen-SS rekrutierte sich zu 40 Prozent aus Ausländern. In der Wehrmacht gab es Kasachen, die in deutscher Uniform in Frankreich gegen die Amerikaner kämpfen sollten.

Zum Teil wurden solche Gruppen dann auch gezielt für die schmutzigen Aufgaben eingesetzt.

Dafür sind die Schutzmannschaften ein gutes Beispiel. In Lettland gab es etwa solche Bataillone, die ganz wesentlich am Holocaust beteiligt waren. Neben einer ganzen Reihe von Gründen spielte hier auch der Antisemitismus eine Rolle. Die Männer wurden später in zwei Waffen-SS-Divisionen überführt und kämpften an der Front. Sie hatten dann beim Vormarsch der Roten Armee wiederum eine Motivation für ihre lettische Heimat zu kämpfen. Denn sie betrachteten Stalin als noch gefährlicher als Hitler.

Es soll sogar Russen in der Wehrmacht gegeben haben.

Etwa eine Million sogenannte Hilfswillige aus den Völkern der Sowjetunion dienten 1942 in der Wehrmacht, etwa als Köche oder Fahrer. Ohne diese Männer hätte die Wehrmacht den Kampf in der Sowjetunion kaum aufrechterhalten können. Hunderttausende Russen arbeiteten also für eine Armee, die zwar gegen Stalin, aber auch gegen ihr eigenes Volk kämpfte.

Diversität bedeutet auch, dass Frauen in der Armee dienen. Eine neue Entwicklung?

Nur in der kämpfenden Truppe. Ansonsten haben Frauen schon immer eine wichtige Rolle in den Streitkräften gespielt. Man kann somit auch eine weibliche Geschichte des Krieges erzählen. Die Frauen waren vor allem im Sanitäts- und Versorgungsbereich oder der Logistik wichtig.

Was können wir für die Gegenwart aus der Vergangenheit lernen?

Die zentrale Frage ist, was sind die kulturellen Folgen der zunehmenden Multiethnizität und der Multikonfessionalität der Bundeswehr? Können wir für bestimmte Einheiten gar von einem Kulturwandel sprechen? Und welchen Einfluss – positiv oder negativ – hat dies auf den Zusammenhalt der Einheiten, ihre Leistungsfähigkeit, ihr Selbstbild?

Was meinen Sie?

Mittlerweile ist beispielsweise ein Russlanddeutscher desertiert, es deuten sich Loyalitätskonflikte an. Was wäre, wenn die Bundeswehr Einheiten in die Ukraine verlegt, wie würden sich Deutsche mit russischen Wurzeln verhalten? Ich will das nicht überdramatisieren, aber man muss sich mit den Folgen der sich verändernden kulturellen Zusammensetzung befassen. Man muss vor allem auch darüber nachdenken, die Leitkonzepte der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform der neuen Multikulturalität anzupassen. Nicht jedem Soldaten sind heutzutage die erprobten Meistererzählungen vom Sinn und Zweck der Bundeswehr noch so einsichtig wie einst den Wehrpflichtigen des Kalten Krieges.

Das Interivew führte Jan Kixmüller. 

ZUR PERSON: Sönke Neitzel (48) ist Militärhistoriker und hat seit 2015 den Lehrstuhl für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam inne.

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