zum Hauptinhalt

Homepage: Es gärt an der Uni

Überfüllte Vollversammlung beschließt Proteste / Kein Streik in Potsdam / Bildungswahlkampf 2004 angekündigt

Stand:

Überfüllte Vollversammlung beschließt Proteste / Kein Streik in Potsdam / Bildungswahlkampf 2004 angekündigt Von Jan Kixmüller Es ist etwas in Bewegung geraten. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Audimax zur Vollversammlung so überfüllt sein würde. Über 1000 Studierende der Universität Potsdam waren gekommen, um über Proteste gegen Bildungsabbau abzustimmen. Berlin war die Initialzündung, jetzt meldet sich Potsdam. „Wir sind 16 000!“, sagt ein Studierender zu seinem Begleiter. Und plötzlich ist alles wieder da, der Streik 1997, die Forderungen von damals, und was daraus geworden ist. Wut liegt in der Luft, aufgestaut in Monaten und Jahren. Auch einen Antrag auf Streik gab es auf der Versammlung, obwohl der AStA Streik als Protestform ablehnt. Aber was heißt eigentlich AStA, von der gewählte Studentenregierung der Uni Potsdam alleine gehen die Proteste nicht aus. Eine Aktionsgruppe hat sich gebildet, ist mehr oder weniger von selbst entstanden, so wie Proteste eben entstehen. Erst Berlin, Frankfurt/Main, Leipzig und jetzt auch Brandenburg, Frankfurt/Oder, Potsdam. Die Aktionen sind nicht gesteuert, so etwas wuchert. Soziologen umschreiben das gerne mit „Graswurzel-Bewegung“, vor allem wenn es von unten kommt. Der AStA will keinen Streik, weil es „das falsche Signal für Brandenburg“ ist, sagt Frank Richarz. Die Studierenden wollen den Fokus auf Proteste legen, und das vor allem im kommenden Jahr, wenn in Brandenburg Wahlen sind. Aber es gärt, wenn es um das Thema Bildung geht. Auch die Schüler rücken aus, um für den Erhalt ihrer Schulen zu protestieren. Wellenbewegungen macht Frank Richarz vom AStA aus, nach all den Jahren der Ruhe, kommt nun hoch, was sich aufgestaut hat. „Etwa, dass an der Uni Potsdam die Einschnitte, die jetzt in Berlin anstehen, schon längst gelaufen sind.“ Von einer „Phase der Politisierung“ an der Potsdamer Uni spricht Richarz. Grund gibt es genug, das ewige Millionen-Loch der Potsdamer Alma Mater, die Misere der Bibliothek, die Kürzungen beim Studentenwerk Mit überwältigender Mehrheit stimmten schließlich die Studierenden im Audimax einer Resolution zu, die sich gegen Studiengebühren und für eine staatliche Ausfinanzierung des Bildungssystems einsetzt. Gestern morgen dann starteten die Potsdamer Studenten ihre Proteste. Nicht nur mit öffentlichen Vorlesungen sondern auch an den Schulen. Am Humboldt Gymnasium gab es eine Studienplatzversteigerung. Die Schüler wurden aufgerufen, an der Demo am Nachmittag teilzunehmen. Wer nach dem Abitur studieren möchte, brauche in Zukunft eine Note von 1,8 oder 1,5 und 500 Euro für Gebühren, heißt es auf einem Flyer. Gegen zehn Uhr stehen zwei Grüppchen im frostigen Morgen auf dem Platz der Einheit, dicht geschart um Professoren, die heute ihre Vorlesung in der Öffentlichkeit halten. Politikwissenschaftler Prof. Otto Keck stellt seiner Vorlesung einige Worte zum Protest der Studierenden voran. Er hoffe, dass die Proteste zum Nachdenken über die Bedeutung der Bildung in der Gesellschaft anregen. „Derzeit habe ich Sorge, dass man sich gerade hier in Brandenburg im Mangel einrichtet“, sagte Keck. Über Studiengebühren denkt der Politologe allerdings anders als die Studierenden. Wenn solche Gebühren über ein Stipendiensystem sozial abgefedert würen, und direkt den Hochschuloen zu Gute kämen, dann würde er sie befürworten. Dies könnte sogar die Reformen befördern. Nicht Studiengebühren seien sozial ungerecht, sondern, dass heute Bürger, die nicht stuidert haben, mit ihren Steuern das Studium von Leuten bezahlen, die später besser verdienen als sie selbst. Studiengebührten könten zudem das Image der Hochschulen von der sozialen Last zum Gewinn verlagern. Auch dem AStA geht es bei den Aktionen um die Studiengebühren: das Gremium will sie auf keinem Fall akzeptieren, auch nicht als nach dem Studium finanzierte Variante. Wer nach dem Studium Bafög und Studiengebühren abzahlen müsse, überlege sich vorher, ob er überhaupt studiert. Und dass, obwohl das Land dringend mehr Akademiker braucht. „Die bildungsfernen Schichten bleiben dann weg, aber gerade die brauchen wir“, so Richarz. In Österreich seien die Studierendenzahlen nach der Einführung von Gebühren stark gesunken. Die Hochschulen, so der Student, könnten ausreichend finanziert werden, wenn man den Kapitalertrag von Unternehmen stärker besteuere. Gestern Abend formierte sich dann zwischen Bahnhof Charlottenhof und Altem Markt ein Demonstrationszug. Die Potsdamer Studenten wollen sich nicht wie die Berliner vorwerfen lassen müssen, sie seien mit ihrem Protest zu spät dran. „Wir wollen von Beginn an klar machen,dass weitere Einschnitte absolut nicht hinnehmbar sind, und Frau Wanka ihr Studiengebührenmodell in den Papierkorb wandern lassen soll“, sagte der Politikstudent Steffen Kühne. 2004 soll das Aktionsjahr der Potsdamer Studentenproteste werden. Der AStA will in Brandenburg einen Bildungswahlkampf führen, zusammen mit Gewerkschaften, Kirchen, Schulen und anderen gesellschaftlichen Akteuren. Bleibt für die Bewegung nur noch das Problem mit der Weihnachtspause. Die könnte die Berliner Streikdynamik dämpfen, was wiederum die Potsdamer Triebe schwächen könnte. Aber abwarten – Berlin hat den Streik nun erst einmal ins kommende Jahr verlängert. Resolution und Infos im Netz: www.asta.uni-potsdam.de/ bildungsprotest/

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })