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Landeshauptstadt: „Es ist mir alles wieder vor Augen“
Bei der zentralen Veranstaltung zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Mauerbaus in der Heilandskirche in Sacrow wurden Erinnerungen wach
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Sacrow - Gerd Korsowski ist sichtlich gerührt. Mit Tränen in den Augen steht der 68-Jährige vor der Heilandskirche in Sacrow und beobachtet, wie der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher über den Kirchplatz schreitet, leicht gestützt von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck. „Ich habe mich riesig auf den heutigen Tag gefreut“, sagt Korsowski. Als Genscher und Platzeck in einer schwarzen Limousine verschwinden, wischt sich der Rentner einen Tropfen von der Wange. „Wir leben wieder in demokratischer Freiheit, ich weiß, mein Einsatz war nicht umsonst.“
An der Heilandskirche in Sacrow hatte die brandenburgische Landesregierung am gestrigen Freitag zum zentralen Gedenken anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus eingeladen. Die Persius-Kirche am Ufer der Havel war in den Jahren der Deutschen Teilung zum Symbol für die tiefen Einschnitte im Leben der Bewohner des Grenzgebiets geworden. Durch Mauer und Stacheldraht war das Gotteshaus von der Ortschaft getrennt, für deren Bewohner nicht mehr zugänglich. Erst nach dem Fall der Mauer fanden hier wieder Gottesdienste statt. Gestern entzündeten Schüler der Polizeifachhochschule in Oranienburg vor dem Altar 136 Kerzen im Gedenken an die Todesopfer an der Berliner Mauer. Ex-Außenminister Genscher sprach vor mehr als 100 Gästen – darunter auch Zeitzeugen und Verfolgte des DDR-Regimes.
„Mir standen die Tränen in den Augen“, erzählt Gerd Korsowski, der als Zeitzeuge eingeladen war. Als junger Mann wurde er von der Staatssicherheit verhaftet. „Aufrührerisches Verhalten, Zersetzung der DDR und Bandenbildung“ wurden ihm vorgeworfen. Zweieinhalb Jahre verbrachte Korsowski in Einzelhaft. Ein Kampf. Nur sechsmal bekam er Besuch von seiner Frau, nie länger als eine halbe Stunde. „Du gehörst in die Zelle, wie der Kübel und die Pritsche“, hatten die Wärter gerufen. „Es ist mir alles wieder vor Augen“, sagt Korsowski.
Während der RBB die Festveranstaltung zeitversetzt im Fernsehen ausstrahlte, hatten sich Ilse und Walter Fiedler im Schatten der Kirche einen ruhigen Platz gesucht. Das Rentnerpaar kennt die Gegend gut. Als sie noch in Sacrow lebten, wollten sie in der Heilandskirche ihre Hochzeit feiern. Die Mauer machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. „Die Kirche war gesperrt und wir lebten plötzlich im Sperrgebiet“, erzählt der 72-Jährige. Selbst für seine Eltern war es nun schwer, das Paar zu besuchen. „Wir sind 1967 weg“, sagt seine Frau. Als der Möbelwagen vorfuhr, überwachten Soldaten den Umzug, die Pistole im Anschlag. „Man lacht heute darüber, damals war es traurig.“ Als das Paar von der Gedenkveranstaltung hörte, machte es sich auf den Weg. „Wir haben angenommen, wir treffen jemanden von früher.“
Statt alteingesessene Sacrower hatten sich vor der Kirche eine Handvoll Berliner eingefunden, wie Christel Klose. „Ich bin wegen Herrn Genscher hier. Er hat einen großen Anteil am Mauerfall“, sagt die 74-Jährige. „So nah habe ich ihn noch nie gesehen.“ Auch Helmut Frieseke nutzte die Gelegenheit: Mit einem selbstgemalten Aquarell mit dem Porträt Genschers wartete er auf den Politiker, um eine Unterschrift zu erhalten. „Genscher hat eine ungeheure Weisheit“, sagt Frieseke. „Er hat mich tief beeindruckt.“
Im Anschluss an die Veranstaltung weihte Landtagspräsident Gunter Fritsch am Fähranleger in Sacrow eine Stele zur Erinnerung an die Maueropfer Erna Kelm und Lothar Lehmann ein, die bei ihrer Flucht ums Leben kamen. Auch Gerd Korsowski dachte nach seiner Haft oft über Flucht nach. Mit einem Gewicht von 48 Kilogramm hatte er das Gefängnis verlassen. Noch heute plagen ihn Depressionen. „Ich bin nicht tot gemacht worden“, sagt Korsowski. „Ich habe weiter gekämpft.“
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