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Verein Lange Kerls in Potsdam: Es kommt doch auf die Größe an
Lange Kerls feierten 25 Jahre Vereinsgründung – auch Ehrenmitglied Dietmar Woidke gratulierte
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Potsdam - Manche Männer spielen am Wochenende Fußball oder basteln am Motorrad. Und dann gibt es die, die sich freiwillig militärischem Drill unterziehen, Samstagnachmittag an Exerzierübungen teilnehmen, Stiefel putzen, Gewehre reinigen. Für die Langen Kerls, Potsdams Riesengarde, ist das ein ganz normales Hobby – und trotzdem besonders. Vor 25 Jahren gründete sich der Verein, der die Traditionen dieser einstigen preußischen Vorzeige-Garde, die von 1675 bis 1806 existierte, pflegt und praktiziert. Am gestrigen Abend wurde mit vielen Gästen aus Politik und Kultur, ehemaligen und aktiven Mitgliedern – in festlichem Zivil – das Jubiläum mit einem Empfang im Alten Rathaus gefeiert. Auch Ehrenmitglied Ministerpräsident Dietmar Woidke, knapp zwei Meter groß und damit per se qualifiziert für die Truppe, gratulierte. „Ich freu mich immer, wenn ich die Jungs sehe. Sie halten unsere Geschichte lebendig“, sagte Woidke. Als er im vergangenen Sommer das Angebot zur Ehrenmitgliedschaft bekam, habe er sich sehr gefreut. „Meine Mitgliedsnummer ist die 210!“
Vereinsvorsitzender Roman Tummerer ist von Anfang an dabei. 1990 war er 22 Jahre alt und dachte sich: „Das ist so etwas Verrücktes, da muss ich mitmachen.“ 46 aktive Mitglieder waren es damals, 14 von ihnen wurden anlässlich des Jubiläums geehrt. Heute gehören zum Verein etwa 25 aktive und einsatzbereite Lange Kerls, daneben Fördermitglieder und Männer, die den Verein aus Altersgründen oder familiären Umständen nur passiv begleiten. „Wir wünschen uns junge Männer, die Interesse an Heimatgeschichte haben und gern ein paar Jahre mitmachen wollen“, sagt Tummerer. Damit sich die Mitgliedschaft lohnt, muss sie längerfristig angelegt sein. Grimmig schauen oder Contenance, wie die Männer es nennen, reicht nicht. Es dauert allein zwei bis drei Jahre, bis der sichere Umgang mit dem Gewehr sitzt.
Das Gewehr, ein originalgetreuer Nachbau eines Vorderladers, wie er damals in der preußischen Gewehrmanufaktur in Potsdam hergestellt wurde, ist 6,5 Kilogramm schwer und 1,55 Meter lang und der Grund, warum die Langen Kerls eine Mindestgröße von 1,88 vorweisen müssen. „Das Gewehr wird von vorn mit dem Ladestock geladen, dazu braucht man schon eine gewisse Armspanne“, sagt Tummerer. Auch Muskeln sind von Vorteil – und wer keine hat, bekommt sie im Laufe des Trainings. Einmal im Monat findet das im Krongut Bornstedt statt, Zuschauer sind herzlich willkommen. Dazu kommen öffentliche Auftritte, für Regierung und Ministerien, bei besonderen öffentlichen Veranstaltungen oder Empfängen. Auch privat sind die Kerls buchbar, über solche kommerziellen Auftritte finanzieren sie ihre nicht geringen Kosten.
Uniformen sind Maßanfertigungen
Mehr als 7 000 Euro fließen in die Grundausrüstung jedes einzelnen Grenadiers, in der Regel Maßanfertigungen, die allerdings im Vereinseigentum verbleibt. Dazu gehört neben dem Gewehr die Uniform aus Wollfilz: „Im Sommer zu warm, im Winter zu kalt“, sagt Tummerer, die fast 30 Zentimeter hohe Mütze, Stiefeletten und weiße Gamaschen – eigentlich die völlig falsche Farbe für so eine Funktion. „Schwer zu reinigen“, sagt Tummerer. Auch solche Pflegearbeiten gehören zu den Aufgaben der Freizeitsoldaten. Es hilft, so Tummerer, wenn die Partnerinnen der Mitglieder Verständnis für dieses zeitaufwendige Hobby mitbringen, die Trainings- und Auftrittstermine, und wenn der Mann ab und zu ein Wochenende im Biwak, im Feldlager, verbringt und Sonntagabend ungeduscht, aber glücklich nach Hause kommt. Gern dürfen Frauen auch mitmachen, in historischen Kostümen als Hofdamen oder Mägde bei Auftritten dabei sein. Auch manche Kinder der Langen Kerls, die zweite Generation, zeigen bereits Interesse an der Vereinsarbeit – mitmachen kann man ab 16 Jahren.
Natürlich sei das irgendwie ein Männerding, sagt der Vereinsvorsitzende, es gehe um Waffentechnik, Geschichte, Gemeinschaft. Kurioserweise seien unter den Mitgliedern einstige DDR-Bürger, denen militärisches Prozere vom Wehrdienst her vertraut ist, als auch Wehrdienstverweigerer aus dem ehemaligen Westberlin. Aus allen Berufsgruppen kommen die Männer, sind Studenten, Handwerker, Akademiker, auch Hartz- IV-Empfänger sind dabei. Der Monatsbeitrag beträgt nur wenige Euro. Gefragt sind vor allem Leidenschaft, Einsatzbereitschaft und eine positive Einstellung zur Wissensvermittlung, vor allem von preußischer Militärgeschichte. Auch Weiterbildungen werden erwartet und sind teilweise Pflicht: Wer den beschussfähigen Vorderlader nicht nur schleppen, sondern auch benutzen will, muss den sogenannten Schwarzpulverschein machen. Dann kann sich der Kerl legal Schwarzpulver besorgen und Patronen basteln. Geschossen wird freilich ohne Munition, bei den Salutschüssen explodiert das Schwarzpulver lediglich mit lautem Knall. Dietmar Woidke habe noch keinen Waffenschein, sagte er gestern, er darf nicht schießen, nur anfassen.
Verherrlichung von Militarismus?
Öffentliche Auftritte mit Exerzierübungen und möglicherweise Schussvorführungen riefen in den 1990ern vereinzelt Unmut bei Potsdamern hervor. Vor allem aus der Antifa-Szene, so vermutet Roman Tummerer, kam die pauschale Verurteilung des Vereinslebens als Verherrlichung von Militarismus. Das sei schade und unverständlich – anderswo würden solche Vereine unter Folkore eingeordnet. Deshalb macht der Verein heute weniger Werbung, kündigt solche Auftritte erst kurzfristig an.
Störer waren vor dem Alten Rathaus gestern keine zu sehen. Im Gegenteil: Vielleicht haben sich zumindest die Nachwuchsprobleme bald erledigt: Beim Empfang traten Kitakinder aus Königswusterhausen auf, kleine Lange Kerls in Mini-Uniformen der Garde und schicke Hofdamen in historischen Kostümen, die eine Tanzvorführung präsentierten.
Nächste öffentliche Probe am kommenden Samstag von 11 bis 15.30 Uhr im Krongut Bornstedt. Mehr Infos hier >>
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