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Mit Holzpenis zum Kondomführerschein. Marius B. (l.) ist für die Potsdamer Aidshilfe unter anderem bei der Bar-Tour in Kneipen unterwegs. Das Engagement hilft ihm, mit seiner eigenen HIV-Diagnose zu leben.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Familie Eine Art

Marius B. ist für die Aidshilfe in Bars unterwegs und will über das HIV-Risiko aufklären. Zu dem Engagement fand er nach seiner eigenen Diagnose

Von Eva Schmid

Stand:

Kannst Du Dir vorstellen, mit 1,5 Promille noch ein Kondom richtig überzuziehen?“, fragt Marius B.* breit grinsend und holt einen großen schwarzen Holzkasten hervor. Auf der Kiste steht in Glitzerbuchstaben: Kondomführerschein. „Die Leute müssen dann links und rechts um die Kiste greifen – ganz schnell kommt dann schon der erste Schreck und sie fangen an zu lachen, wenn sie plötzlich den Holzdildo ertasten“, kichert Marius weiter und erklärt den Ablauf der speziellen Führerscheinprüfung.

Der 21-jährige junge Mann, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, engagiert sich seit drei Jahren ehrenamtlich bei der Potsdamer Aidshilfe. Seit dreieinhalb Jahren weiß er, dass er HIV-positiv ist. „Das war damals ein ganz schöner Schock für mich. Ich bin recht schnell zur Aidshilfe gekommen und habe mich hier aufgehoben gefühlt“, erzählt er. Ursprünglich stammt er aus einer kleinen Ortschaft in Brandenburg und ist für seine Ausbildung nach Potsdam gekommen. „Nicht nur mein Dorf ist klein, sondern Potsdam auch – daher möchte ich nicht so viel von mir preisgeben“, erklärt er seinen Wunsch nach Anonymität in diesem Text. Aber auch wenn Potsdam klein ist, werde hier mit den Themen Homosexualität und HIV ganz anders umgegangen: „Auf dem Dorf ist Homosexualität ein Tabu, oh Gott, oh Gott und dann noch HIV – naja, so ist es eben.“

Beim Erzählen wirkt Marius B. gestärkt. Ein junger Mann, der sich nicht unterkriegen lassen will. Die Krankheit war für ihn auch Hauptmotivation, sich ehrenamtlich zu engagieren: „Ich will anderen Menschen die Unwissenheit nehmen.“

Alle zwei Monate zieht der 21-Jährige auf der Bar-Tour mit vier bis fünf weiteren Ehrenamtlichen um die Häuser. „Wir gehen in Bars in der Innenstadt und fragen, ob wir mal stören dürfen, dann kommt unsere Einstiegsfrage: ob sie es schaffen, betrunken ein Kondom überzuziehen.“ Meistens heißt es dann „Ja, klar“, erzählt Marius. Dann kommt der Praxistest: „Wir probieren es aus, die 1,5 Promille und den Mann haben wir auch schon dabei!“ Zu der Kondomführerscheinbox gehört neben dem Holzpenis noch eine Rauschbrille, die den Alkoholgehalt simuliert. Wie gut oder schlecht so eine Aktion laufe, sei abhängig von der Art der Bar: „In so Schicki-Micki-Kneipen ist es eher schwierig, die Gäste für das Spiel zu gewinnen, in Studentenkneipen ist das eigentlich nie ein Problem.“

Wenn Marius auf seine Zeit als Ehrenamtlicher zurückblickt, erinnert er sich auch an negative Erfahrungen: „Das Krasseste ist, wenn man auf einen Aids-Leugner trifft. Das ist ganz schwierig, da atme ich erstmal tief durch und versuche, es nicht persönlich zu nehmen.“ Bei der Bar-Tour komme dieses Leugnen besonders bei angetrunkenen Leuten öfters vor. „Aber auch bei jungen, vor allem heterosexuellen Paaren gibt es diese Ignoranz.“ Im Team werden schwierige Situationen im Nachgang dann besprochen – jeder solle lernen, mit diesen Erfahrungen umzugehen. Nicht nur bei Nachbesprechungen, sondern auch bei Vorbereitungen von Aktionen wie dem Welt-Aidstag oder dem Aidshilfe-Frühstück wird stetiger Austausch gefördert. „Da merke ich dann auch, dass ich mich gern beraten lasse und finde hier so eine Art Familie“.

Zurzeit ist Marius auf Arbeitssuche. Er hat also flexibel Zeit für die Aidshilfe. Ganz begeistert ist er von den internen Weiterbildungsprogrammen: „Vor Kurzem habe ich ein Seminar gemacht zum Thema Grundlagen der Kommunikation“, schwärmt er. „Die Seminare geben einem Grundkompetenzen, die man auch im Berufsleben braucht.“

Besondere Vorkenntnisse verlangt die Aidshilfe von ihren Ehrenamtlichen nicht, „aber sie müssen schon eine positive Grundeinstellung zum Thema mitbringen und natürlich Freude am Umgang mit Menschen“. Er selbst ist auf die Aidshilfe gestoßen, als er dort im Rahmen seiner Ausbildung ein Praktikum absolvierte. Seit dieser Zeit ist er „an Bord“.

Das Ehrenamt gibt Marius vor allem Kraft, mit seiner Diagnose weiterhin umzugehen und ein gutes Leben zu führen, „auf sich aufzupassen“, wie er sagt. Die Aidshilfe ist auch deshalb für ihn ein Stück Familie, weil er dort von Menschen umgeben ist, die respektvoll miteinander umgehen.

In diesen Tagen gaben sich die Ehrenamtlichen bei der Aidshilfe die Klinke in die Hand: Denn der Höhepunkt des Jahres, der Welt-Aidstag am 1. Dezember, steht am morgigen Samstag an. Marius und die anderen Ehrenamtlichen und Mitarbeiter der Aidshilfe werden mit Ständen und Sammelbüchsen in der Brandenburger Straße und den Bahnhofspassagen stehen. Neben dem Verteilen der roten Schleifen will er sein Wissen an diesem wichtigen Tag am liebsten an alle Potsdamer weitergeben.

In der nächsten Folge stellen wir am kommenden Dienstag Joachim Untenzu von der Rumänienhilfe Potsdam vor.

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