
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: „Familienfreundlich heißt nicht totaler Freiraum“
Sozialbeigeordnete Elona Müller über das „Jahr der Familie“ 2010: Vereinbarkeit von Familie und häuslicher Pflege im Mittelpunkt
Stand:
Ist das Themenjahr der Familie nicht in erster Linie Selbstbeweihräucherung?
(lacht) So nach dem Motto: Wow, was sind wir toll? Natürlich nicht.
Immerhin wurde Potsdam 2007 in der Prognos-Studie zur familienfreundlichsten Kommune Deutschlands. Ende 2009 erhielt die Stadt das Etikett Familienfreundliche Kommune Brandenburgs.
Wozu also noch einmal dieser Schwerpunkt?
Wir wollen uns den Aufgaben stellen, bei denen wir bei Prognos nicht im vorderen Drittel lagen. Das sind die Themen Stadtentwicklung, Wohnen, die Unfallzahlen, selbst wenn sich das bei näherer Betrachtung etwas relativiert. Zum anderen wollen wir die Auseinandersetzung mit dem Thema Familie fördern.
Was steckt denn hinter dem Begriff Familienfreundlichkeit?
Aus meinem Selbstverständnis heißt Familienfreundlichkeit nicht, Familien dürfen alles oder Kinder dürfen alles. Es muss immer auch eine Abwägung der Interessenlagen in der Stadt geben. Besonders spannend dürfte da ein Höhepunkt des Themenjahres sein: Der Unesco-Tag am 6. Juni, der unter dem Motto der Familie stehen wird. Auf dem Pfingstberg wollen wir das Unesco-Welterbe „spielend“ erleben. Das ist ein reizvolles Thema vor dem Hintergrund der vergangenen Diskussionen um die Schlösser und Parks: Darf man Fahrradfahren, darf man auf der Wiese sitzen, dürfen Kinder dort spielen? Da machen wir bewusst Foren auf, um zu erfahren: Was möchten Familien, was können wir machen und wo sind unsere Grenzen hinsichtlich anderer kultureller Werte.
Welche weiteren Schwerpunkte wird das Themenjahr haben?
Wir haben den Begriff „Familie“ bewusst weit gefasst und gehen über Papa, Mama, Kind hinaus. Wir wollen die drei Generationen thematisieren, also Kind, Eltern, Großeltern. Das machen wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der Pflege von älteren Menschen. Da muss man kritisch fragen: Sind wir in der Stadt dafür optimal aufgestellt? Wir haben viel über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen. Ich glaube, wir sind jetzt am Punkt angekommen, an dem wir nach der Vereinbarkeit von Familie und Pflege gucken müssen.
Im Januar soll der kommunale Pflegestützpunkt in Potsdam eröffnet werden, der trägerübergreifend beraten und unterstützen soll. Auch die Familienangehörigen?
Vor allem die Familienangehörigen. Denn die ambulante Pflege, also Pflege zu Hause, wird ein weiterer Schwerpunkt im Themenjahr sein. Die meisten Pflegebedürftigen wollen zu Hause betreut werden. Doch die Angehörigen sind meist gar nicht dafür aufgestellt. Ein erster Schritt zur Unterstützung in dieser Situation ist der kommunale Pflegestützpunkt. Dort werden wir nicht nur beraten, sondern auch Erfahrungen sammeln und dann wissen, wo es hakt. Eine Idee, die es wert ist, zu diskutieren: Warum soll man manche Kita nicht auch abends und am Wochenende öffnen, damit Kinder betreut werden, während die Eltern Zeit für Pflegeaufgaben haben. All das soll in einem Forum besprochen werden.
Bei der Kita-Versorgung steht Potsdam in der Prognos-Studie sehr gut da. Andererseits scheint es, dass die Plätze nie ausreichen. Wie kommt es zu diesen verschiedenen Wahrnehmungen?
Mit über 12 000 Kita-Plätzen haben wir schon viel gemacht, glaube ich. Wir werden auch weiterhin Plätze schaffen. Aber es geht manches noch besser, so Informationen zu Kita-Angeboten und die Platzvermittlung. Diese Baustelle wollen wir noch im ersten Quartal angehen. Am 1. April soll ein Betreuungsplatzservice im Stadthaus geschaffen werden. Auch im Internet soll es in diesem Jahr ein Portal geben, auf dem sich Eltern über Kita-Plätze informieren können, möglichst auch in englischer Sprache.
Schlechte Noten erhielt Potsdam für die Wohnungssituation. Ist das ehrgeizige Ziel, 800 bis 1000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, zu schaffen?
Es wird 2010 Wohnungsneubau geben, auch vom städtischen Wohnungsunternehmen Pro Potsdam. Ich bin optimistisch, die Zahl zu schaffen.
Und das wird dann auch bezahlbarer, familienfreundlicher Wohnraum sein?
In diesem Zusammenhang geht die Forderung von Potsdam weiterhin ans Land Brandenburg, auch Wohnungsneubau zu unterstützen. Ein gutes Beispiel ist das Konzept zur Gartenstadt Drewitz. Es ist familienfreundlich, beispielsweise die überdimensionierte Konrad-Wolf-Allee zu einer grünen Aufenthaltsfläche zu entwickeln. Die Hausdächer sollen begrünt werden, auch das sorgt für ein angenehmes Leben im Stadtteil. Bei diesem Konzept wollen wir als Stadt gern mitgehen. Denn Klimaschutz ist auch ein wichtiges Thema bei Familien.
Zum Klimaschutz passt auch die Verkehrsproblematik, ein häufiges Ärgernis. Familien fordern vor allem ein gut ausgebautes Radwegenetz. Warum lässt das noch auf sich warten?
Es stimmt, eine fahrradfreundliche Stadt bedeutet familienfreundliche Stadt. Außerdem, nicht zu vergessen: Fahrradfahren bringt Spaß. Und man findet immer einen Parkplatz, in der Regel direkt vor dem Ziel. Ich hoffe, dass der Haushalt für 2010 genehmigt wird. Dort sind 800 000 Euro zusätzlich für den Ausbau des Radwegenetzes vorgesehen.
Klimaschutz und Familienfreundlichkeit lässt sich auch durch kostenlose Schülerfahrten im Öffentlichen Nahverkehr sehr gut verbinden, oder?
Wir subventionieren die Schülertickets ja bereits. Sie sind nicht kostenlos, aber dafür stehen die Tickets auch in den Ferien und an jedem Wochenende zur Verfügung. Es unterstützt also auch die Mobilität in der Freizeit, was ich sehr wichtig finde. Ein kostenloser Schulverkehr würde hingegen lediglich die Fahrt zur und von der Schule beinhalten.
Auch andere kostenlose Kinder- und Familienangebote werden diskutiert – Stichwort „Kostenloses Mittagessen“
Wir wissen aus vielen Gesprächen mit Hartz-IV-Empfängern, dass auch die nicht unbedingt alles kostenlos wollen. Und ich bin ebenso dagegen, jedem Kind von Hartz-IV-Empfängern kostenloses Mittagessen oder eine kostenlose Kita- Betreuung zu ermöglichen. Das führt aus meiner Sicht zu einer Stigmatisierung. Natürlich müssen Familien unterstützt werden, die es nicht schaffen. Deshalb plädiere ich für die Härtefall-Regelung, die wir bereits praktizieren. Gegen generell kostenlose Angebote spricht aus meiner Sicht auch ein anderer Grund: Es sagt noch nichts über die Qualität. Mit dem Geld, das wir für kostenlose Angebote vorhalten müssten, will ich lieber vorhandene Angebote stärken.
Zum Beispiel?
Wir möchten die Qualität in Kitas verbessern. Dazu zählt natürlich die Personalausstattung. Das bleibt aber Aufgabe des Landes, Geld für mehr Erzieherstellen zur Verfügung zu stellen. Wir werden jedoch, so der Haushalt beschlossen wird, mit 100 000 Euro andere Qualitätsparameter stärken. So soll es für die Kita-Eingewöhnungsphase mehr Personal geben. Und auch die Fortbildung der Erzieher soll besser finanziert werden.
Nach dem Themenjahr endet 2011 auch ihre achtjährige Beigeordneten-Amtszeit
(lacht) aber das ist ja noch ein bisschen hin.
Haben Sie sich schon Gedanken über ihre Zukunft gemacht?
Das wird davon abhängig sein, wie der Oberbürgermeister das sieht, denn der muss ja eine Person für den Posten vorschlagen. Ich kann sagen, dass mir die Arbeit sehr viel Spaß macht und ich nicht amtsmüde bin.
Das Gespräch führte Kay Grimmer
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