Etwas HELLA: Fasterei nach preußischem Frohsinn
Mit der Fastenzeit habe ich so meine Schwierigkeiten. Erstens mangelt es mir an hinreichend schlechtem Gewissen, um mich irgendwelchen kräftezehrenden Kasteiungen hinzugeben.
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Mit der Fastenzeit habe ich so meine Schwierigkeiten. Erstens mangelt es mir an hinreichend schlechtem Gewissen, um mich irgendwelchen kräftezehrenden Kasteiungen hinzugeben. Dafür esse und trinke ich viel zu gern. Und zwar immer und alles. Zweitens nimmt die Fasterei in meiner Umgebung ziemlich bizarre Formen an. Dazu gehört nicht nur der Verzicht auf Fleisch und alkoholische Getränke, sondern auch auf Süßigkeiten und Schokolade, was die allgemeine schlechte Laune der Fastenden noch erheblich befördert. Ja, es gibt neuerdings sogar eine Internet- und Telefonabstinenz. Deshalb hinterlasse ich schon wieder wie in früheren Zeiten Zettelchen an Korridortüren, wenn ich etwas Dringendes mitzuteilen habe und den Empfänger nicht antreffe. Und drittens frage ich mich entnervt, welche Ausgelassenheiten der Bewohner der Mark Brandenburg und ganz speziell der Potsdamer überhaupt zu bereuen hat.
Unsere drei tollen Tage mit Narrenvolk und witzigen Veranstaltungen sind doch eher etwas für Insider und wenn die Bäckereien uns nicht mit Pfannkuchen – oder wie der Zugereiste sagt – Berlinern zugeschmissen hätten, wäre mancher Potsdamer wahrscheinlich überhaupt nicht darauf gekommen, dass es auch in unseren Breiten so etwas wie Fasching gibt. Der preußische Frohsinn hat sich ja schon immer in Grenzen gehalten, und Potsdam war noch nie eine Hochburg karnevalistischer Feste oder gar Umzüge. Doch selbst das „ordentliche Feiern“, auf das der erste Präsident des Potsdamer Karneval-Clubs und Leiter des Kulturhauses „Hans Marchwitza“, Horst Grünberg, Wert legte, kann man noch abspecken. Horschte ist sicher nicht von uns gegangen, weil Potsdams Karneval versauert ist und aus dem Marchwitza das Potsdam Museum wurde. Doch auch in seinem Namen sei die Frage erlaubt: Wo sind sie hin, die Stätten ausgelassener Fröhlichkeit?
Das Marchwitza heißt wieder Altes Rathaus und ist nun ein Ort der Erkenntnisse und eher gedämpfter Lustbarkeit. Der Klub der Künstler und Architekten wurde zur Spielbank. Dort ärgert man sich meistens schwarz, wenn man mühsam Erspartes verzockt hat, und das Kellermannhaus – seit Jahren verriegelt und verrammelt – bemüht sich, eine edle Ruine zu werden. Lediglich der Lindenpark und sein LKC haben überlebt. Aber die Babelsberger waren ja schon immer etwas Besonderes und sehr traditionsbewusst.
Nun muss natürlich nicht immer alles am alten Platz überdauern. Es sind neue Gaststätten und Nachtlokale entstanden (Letztere muss ich doch jetzt nicht etwa aufzählen, es würde mich glatt überfordern). Aber selbst so engagierte neue Versuche wie das „Nachtleben“ am Park Sanssouci scheiterten – ob der ungebrochenen Feierlust der Potsdamer nicht nur zu Zeiten des Karnevals.
Dass wir uns in den 70er- und 80er-Jahren noch um die Eintrittskarten im Marchwitza, Künstlerklub und Kellermann gehauen haben und auch mal durchs Klofenster eingestiegen sind oder durch die kalte Küche, wenn es anders nicht ging, lag natürlich am ansonsten tristen DDR-Alltag. Ich bin allerdings nie durch ein Fenster geklettert. Ich war zu unsportlich und kannte jemanden am Einlass.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam
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