
© A. Klaer
Aus der Wirtschaft: Ein Steinmetz aus Potsdam: Feingefühl für harte Brocken
Alexander Reichelt hat eines der ältesten Gewerke der Welt gelernt: Der Potsdamer Steinmetz restauriert historische Bauwerke und stellt Grabmale her. Seine Handschrift findet sich an vielen Orten in Potsdam.
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Potsdam - Steinmetz wird man nicht, wenn man es gern kuschelig hat. Es ist Anfang Oktober und die Steinwerkstatt Reichelt ist naturtemperiert. In grober Arbeitshose und dicker Jacke kniet Sabine Niepagen neben einem Grabstein und legt die gehauene Schrift mit weißer Farbe aus. Zu zwei vorhandenen Namen und Lebensdaten kam nun ein dritter dazu. Gestorben wird immer. Etwa die Hälfte ihres Geschäfts hat mit dem Lebensende zu tun, schätzt Inhaber Alexander Reichelt. Und doch ist kurioserweise dieser so klassische, traditionelle Handwerksberuf am Aussterben. Das zumindest befürchtet Sabine Niepagen, seine Lebensgefährtin und seit fünf Jahren auch Mitarbeiterin. "Es gibt immer weniger Platz für Leute wie uns, also wird auch weniger ausgebildet", sagt sie. Keiner will lautes und dreckiges Gewerbe, einen Kleinbetrieb wie sie, vor der Haustür haben. Im Handwerker- und Gewerbehof, der kürzlich in Babelsberg eröffnet wurde, können und wollen sie nicht arbeiten. Sie gehören an die Luft. Auch wegen der Staubentwicklung, sagt Reichelt. Eine industrielle Entstaubungsanlage für eine Halle könne ja keiner bezahlen. "Ein kleiner Schauer hilft eigentlich am besten", sagt Reichelt.
Handwerkliches Geschick und künstlerisches Talent
Und so ist Alexander Reichelt, Steinmetz- und Steinbildhauermeister und Restaurator Handwerk, so seine offizielle Berufsbezeichnung, zur Untermiete bei einer Dachdeckerfirma eingezogen, zwischen Aradosee und Nutheschnellstraße. Am Südtor am Neuen Palais, wo sie bis 2010 waren, war es freilich schöner, aber dort befindet sich jetzt ein Biergarten. Spuren haben sie genug auf dem Gelände der Schlösserstiftung hinterlassen. Reichelt gehört zu den Steinmetzen, die beides anbieten, Arbeiten im Bereich Baudenkmalpflege und Restaurierung als auch die Fertigung von Grabdenkmalen. Der Beruf fordert handwerkliches Geschick und künstlerisches Talent. Bei Reichelt war es Zufall, dass er eine Lehre bei den Sächsischen Sandsteinwerken in Dresden begann. "Ich hab mir den Betrieb angeschaut und dachte, das gefällt mir, das mach ich", sagt er.
1981 begann er seine Lehre in Dresden, schon zwei Jahre später wurde er nach Potsdam zur Baustelle an den Kolonnaden am Neuen Palais abkommandiert. "Damals wurde noch ganz anders gearbeitet, oft körperlich sehr anstrengend, ohne Flex und andere moderne Werkzeuge. Und manchmal hatten wir nicht mal einen Gabelstapler", sagt er kopfschüttelnd. Aber er blieb in Potsdam, holte sein Abitur nach, "für den Kopf" sagt er, und, als der Wunsch-Studiengang nach der Wende wegrationalisiert wurde, machte er seinen Meister und gründete 1995 die eigene Firma. Zwei Gesellen hat er seitdem ausgebildet, beide haben namhafte Wettbewerbe in der Branche gewonnen. Sein eigenes Meisterstück, eine Sandstein-Säulenbasis, wurde für eine der 150 Säulen der Kolonnaden am Neuen Palais verwendet.
Seine Handschrift an vielen Stadtvillen in Potsdam
Fragt man Reichelt, was er in Potsdam alles gemacht hat, listet er zahlreiche Baudenkmale auf, vor allem Schlösser und Gebäude der Schlösserstiftung. Er hat beispielsweise an der Dachbalustrade von Schloss Sanssouci und den Fenstergewänden der Bildergalerie gearbeitet. Dazu kommen Arbeiten an den zahlreichen denkmalgeschützten Altbauten wie die Wohnhäuser der zweiten barocken Stadterweiterung, beispielsweise in der Charlottenstraße und in der Lindenstraße. Seine Handschrift findet man in und an Stadtvillen in Potsdam und Berlin. Zuletzt hat Reichelt vier Kapitelle der neuen holländischen Häuser neben der Französischen Kirche restauriert beziehungsweise wieder angebracht. Erst 1988 war alles abgerissen worden. Als Handwerker verhandelt er stets mit dem Bauherrn, mit dem Architekten und dem Denkmalpfleger. Letzterer sagt, was er will, Reichelt sagt, was geht oder was nicht: Restaurieren oder doch neu bauen? Er freut sich über das neu erwachte Bewusstsein für Historisches. Die Leute investieren wieder in ihre Häuser, sagt er.
Das älteste, was er gemacht hat, war ein Renaissance-Portal an der Festung Dömitz in Mecklenburg-Vorpommern, ein Gebäude aus der Zeit um 1530, schätzt er. Und das längste Stück, das er aus einem Stein gearbeitet hat, war ein Türsturz in der Berliner Straße, rund fünf Meter lang. Auf dem abgesperrten Bürgersteig vor dem Haus hat er gekniet und dort den Stein behauen. Immer an der frischen Luft, das ist gut. Und beugt der Staublunge vor, die früher manchen Steinmetz erwischte. Natürlich tragen er und Sabine Niepagen Atemschutz, wenn es nötig ist.
Kein grobschlächtliger Handwerker
Manchmal bekommt er auch Aufträge für neue Kunstwerke, Skulpturen für den Garten, für die Terrasse. Ein Zahnarzt aus Berlin bestellte bei ihm einen männlichen Torso – Gelegenheit für Reichelt, das künstlerische Talent rauszulassen. Die Skulptur steht schon abholbereit. Fertige Steine, rohe und solche im Werden liegen auf dem Außengelände, ein seltsamer Garten, ein wenig romantisch, ein wenig märchenhaft. Im wilden Gras liegt auch ein Fundstück, eine Kinderskulptur, die sie aus einem Baucontainer gerettet haben. "Unser kleiner Prinz", sagt Sabine Niepagen mit einem fast zärtlichen Blick auf die Figur. Der verrät, dass man in diesem Beruf alles andere als ein grobschlächtiger Handwerker sein darf.
Sonst könnten sie nicht mit den Menschen umgehen, die bei ihnen Grabsteine in Auftrag geben, immerhin ein Großteil der Aufträge. Dann nehmen sie sich Zeit und hören zu, wenn die Kunden von den Verstorbenen erzählen, manchmal voller Trauer oder auch Erleichterung, weil ein langes Leiden geendet hat. Die dann bei Reichelt in der Werkstatt stehen, Stein und Design aussuchen, Text, Ornamente und Schriftart auswählen müssen: ausgestrahlt mit Sand oder von Hand gehauen? Aufgesetzt oder als Metall-Einlegearbeit? Aus Bronze, Aluminium, Edelstahl oder Blei? Sabine Niepagen fertigt dann Entwürfe am Rechner, moderne Technik ist längst angekommen in dem Handwerk. Manchmal liegen die Lösungen auch ganz nahe. Der Mann, der etwas ganz Besonderes für seine verstorbene Mutter suchte, entdeckte im Garten schließlich ein kleines Sandsteinstück, unbehauen und übrig geblieben, natürlich patiniert und trotz einiger Ecken und Kanten schön. Das sollte es sein, das passe genau zu seiner Mutter, sagte der Sohn erleichtert. "Genau so war sie." Reichelt hat den Stein nur noch ganz schlicht beschriftet.
Am Freitag erscheint das neue Wirtschaftsmagazin als Beilage in den PNN. Diesen Text gibt es vorab online. Im Fokus steht dieses Mal die Medien- und Kommunikationswirtschaft in Potsdam und Brandenburg. Außerdem stellen wir Brandenburgs beste Braumeister vor.
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