
© M. Thomas
Opfer der Jugendwerkhöfe: Fenstergitter und Stacheldraht
Die Opfer des DDR-Kinderheimsystems protestieren in Potsdam. Rehabilitiert sind sie bis heute nicht.
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Teltower Vorstadt/Innenstadt - Trillerpfeifen, Sprechchöre, Transparente: Die kleine Kundgebung mit gut 30 Teilnehmern formiert sich am Mittwochvormittag vor dem Justizministerium in der Heinrich-Mann-Allee. „Kinder sind immer unschuldig“ oder „Früher Heim – heut allein“ steht auf den Schildern, die die Menschen hochhalten. In der vorbeifahrenden Tram drehen einige Fahrgäste die Köpfe. Ein Lkw hupt. Ein bisschen Aufmerksamkeit gibt es also.
Was die Frauen und Männer zusammengeführt hat, ist eine gemeinsame Vergangenheit: Viele von ihnen haben Jahre ihrer Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR im sogenannten Durchgangsheim Bad Freienwalde oder ähnlichen Einrichtungen verbracht – weil sie ungewollt, ungeliebt, unangepasst waren oder weil sie ihren Eltern lästig wurden. Statt staatlicher Fürsorge erwarteten sie dort Gitter vor den Fenstern, eine hohe Mauer mit Glasscherben, Stacheldraht und Einzelzellen. 1968 wurde das frühere Kreisgerichtsgefängnis, das auch in der NS-Zeit schon Knast war, an die Jugendhilfe übergeben. Bauliche Veränderungen gab es nicht. Schikane war an der Tagesordnung. Sogar die Elf- und Zwölfjährigen müssen Lampenbuchsen zusammenschrauben. Bildung wurde ihnen vorenthalten.
Genaue Zahlen über die Menge der Betroffenen fehlen. Eine Anerkennung für die Qualen gibt es auch 25 Jahre nach dem Ende der DDR-Kinderknäste nicht. Anträge auf Rehabilitierung wurden abgelehnt. Eine der Betroffenen, Norda Krauel, hat dagegen 2011 Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Das hält die Beschwerde offenbar für begründet und hat beim brandenburgischen Justizminister Helmuth Markov (Linke) eine Stellungnahme angefordert und eine Frist bis zum 15. August gesetzt.
Markov kommt an diesem Mittwoch vor die Tür seines Ministeriums. Mit drei Vertretern möchte er sich in Ruhe unterhalten. „Ein gutes Zeichen“, so Krauel. „Politiker sollten Wünsche und Forderungen von Menschen ernst nehmen“, lässt der Minister mitteilen. Dass Markov nun einen Bericht der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der SED- Diktatur über die Zustände in Bad Freienwalde und das Heimsystem in der DDR an die Karlsruher Richter weiterleiten will, finden die Demonstranten gut. Die Vorinstanzen, das Brandenburgische Oberlandesgericht und das Landgericht in Frankfurt/Oder, hätten dessen Inhalt nie gewürdigt.
Nach dem Gespräch ziehen sie weiter zum Potsdamer Landtag – auch hier Trillerpfeifen und Sprechchöre. Touristen schauen erstaunt. Die Demonstranten wollen weiter Druck machen. Denn Markov will vorerst keine Bundesratsinitiative starten, um die Rechtslage zu ändern. Er will die Entscheidung des Gerichts abwarten. Doch das geltende strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz richtet sich eigentlich an Erwachsene. Außerdem ist es schwammig formuliert: „Sachfremde Zwecke“ müssten vorgelegen haben, damit eine Entschädigung für den „Freiheitsentzug außerhalb eines Strafverfahrens“ unter haftähnlichen Bedingungen möglich ist.
Eine Reaktion aus dem Landtag kommt am Nachmittag: Die Potsdamer FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg fordert Verbesserungen beim Rehabilitierungsgesetz. Den Opfern müsse endlich zu ihrem Recht verholfen werden.
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