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Landeshauptstadt: Fette Treter mit Geschichte

Im „Hustle’n’Bustle“ gibt es Kleider und Petticoats, ausrangierte Armeeklamotten und Doc Martens – kultige Schuhe, die ein Leben lang halten sollen

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Vierzehner, Sechzehner, Dreier: Das klingt nach Hirschgeweih-Typisierung, meint aber etwas ganz anderes. Im Laden von Raico Rummel ist damit die Zahl der Ösen gemeint, mit denen Schuhe ausgestattet sind. Nicht irgendwelche, sondern Doc Martens – in allen Formen und Größen, für Männer und Frauen. Bei „Hustle’n’Bustle“ in der Dortustraße stehen auch andere Markenschuhe im Regal, aber die Klassiker – in allen Farben von Grau bis Kirschrot oder Pink, gern als Variante Lackstiefelette – fallen überall auf.

„Das sind halt Kultschuhe“, sagt Raico Rummel. Wer Muße hat und etwas Zeit, bekommt beim Schuhkauf gleich die Entstehungsgeschichte dieser Marke erzählt. Rummel hat Text und Bild sogar an der Wand hängen: Über einen gewissen Doktor Klaus Märtens, wehrdiensterfahren, ein Deutscher, der direkt nach Kriegsende 1945 aus dem Gummi alter Autoreifen und Lederbesatzstücken ausgedienter Offiziersuniformen den Prototyp der strapazierfähigen, aber bequemen Treter erfand. Vor allem ehemalige Soldaten mit kaputten Füßen wussten das zu schätzen.

Märtens nahm seinen Studienkumpel, einen gewissen Herrn Funck aus München, mit ins Boot und begann, in Serie zu produzieren. Schon in den 40er-Jahren gab es 200 verschiedene Typen. Als er mit der Produktion nicht mehr hinterher kam, wurde Bill Griggs, Hersteller von Schuh- und Lederwaren, auf ihn aufmerksam. Die Marke wanderte über den Kanal nach England, wo „Doc Martens“ die Umlautpunkte verlor und mit der typischen Luftpolstersohle aufgewertet wurde.

Seitdem sind sie die Schuhe der Wahl für Aussteiger und Protestler. Es ließ sich darin gut demonstrieren, gleichzeitig fühlte man sich der Arbeiterklasse in diesen funktionalen Stiefeln verbunden. „Die halten auch ewig“, sagt Rummel. Auf Nachfrage zeigt er einen Bildband über das Schuhprodukt – Geschichte und berühmte Träger. „Dazu gehören Sinéad O'Connor, The Clash, Madness, Pete Townshend – ganz allgemein Ska- und Punkbands“, sagt Rummel. Der britische Sozialist Tony Benn setzte damit auch ein politisches Zeichen. Raico Rummel, 38 Jahre alt und gelernter Dreher, gründete vor 13 Jahren seinen kleinen Laden, mit Schuhen und Oberbekleidung, alles, was gern – aber nicht ausschließlich – bei den Musikfans der Rockabilly- und Ska-Szene getragen wird. „Ich mag solche Klamotten selbst, will die aber nicht von weit her holen müssen,“ sagt Rummel, der jahrelang Konzerte für diese Klientel organisierte. Aus der Marktlücke machte er eine Geschäftsidee, bis heute ist es seine Strategie, Produkte anzubieten, die eben nicht jeder hat.

Am Montagvormittag wird ein Touristenpaar auf den Laden aufmerksam. Ein Jutebeutel mit den Konterfeis der Olsenbandenmitglieder soll es sein. Auch auf T-Shirts prangen Egon, Benny und Kjeld, Bud Spencer und Terence Hill, selbst Louis de Funès. Das ist witzig und passt zum Thema: Retro ist angesagt, saisonale Modetrends werden hier weitgehend ignoriert. Für Männer gibt es weite Cargohosen und Militärklamotten, Parkas und Blousons, Fliegerstiefel mit Fellfutter, Mützen und Handschuhe. Die Frauen finden derzeit Sommerkleidchen, Neckholder im 50er-Jahre-Stil, knallrote Kirschen auf Schwarz oder Polkadot-Design, dazu passende Handtaschen. Das Komplettpaket, Petticoats, stilechte Unterwäsche und Netzstrümpfe, kann bestellt werden.

Beim Stöbern stolpert man sogar über ein Regal mit alten Musikkassetten, das Stück für drei Euro. „Die verkaufe ich tatsächlich ab und zu, an Leute mit alten Autoradios“, sagt Rummel.

Der große Mann mit der obligatorischen Gelfrisur, stilistisch irgendwo zwischen Guttenberg und Elvis Presley, ist Einzelkämpfer im „Hustle’n’Bustle“, und der Name ist Programm: Rummel muss umtriebig und geschäftig sein, damit er überleben kann. Doc-Marten’s-Schuhe kann man mittlerweile auch bei Zalando bestellen, aber probieren – in dem Ambiente mit Rock’n’Roll-Musik, die halbierte Karosserie eines Minis vor der Nase, das geht nur hier. Wer seinen Einkauf gut plant, kann zum Kleid noch ein Tattoo mitnehmen. Im Hinterzimmer hat ein Kollege ein Tattoostudio eingerichtet. Auch sämtliches Piercingzubehör, bunte Haargummis und Schleifchen gibt es hier, Totenkopf-Schlipse und -Gürtelschnallen.

Seit einigen Jahren ist Rummel politisch engagiert. Für die Stadtverordnetenversammlung reichte es bisher zwar noch nicht, aber er hat Ideen: In der Innenstadt würde er die Seitenstraßen zur autofreien Zone machen, dafür mehr Parkhäuser bauen. „Die Touristen gehen doch nur durch die Brandenburger“, sagt er. Neben dem Laden, in dem Rummel schon Azubis ausgebildet hat, arbeitet der Potsdamer bisweilen als DJ. „Ich mache gerade viele Hochzeiten“, sagt er. Und es gebe sogar Paare, die sich für diesen Tag bei ihm Laden einkleiden – stilecht.

Dortustr. 53, Tel. (0331) 2000525

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