
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Flut-, Frost- und Flugkatastrophen
Beim Tag der offenen Tür im Deutschen Rundfunkarchiv Babelsberg lag der Fokus auf der Krisenberichterstattung des DDR-Fernsehens
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Klaus-Jörg Kaminski setzt einen winzigen MP3-Player, verbunden mit einem „Super“ des VEB Stern-Radio Sonneberg, in Betrieb. Aus dem ovalen Lautsprecher des alten Radios ertönt die historische Stimme von Thüringens Ministerpräsident Werner Eggerath – aus dem Jahre 1950. Der Anlass war die Rundfunk-Live-Übertragung zur Wiedereinweihung des Dorfes Bruchstedt an der Unstrut. Der Ort war am 23. Mai 1950 fast vollständig in einer Flutwelle untergegangen. SED und Landesregierung beschlossen, Bruchstedt binnen 50 Tagen wieder aufzubauen, was auch gelang.
„Wir haben lange gebraucht, um Reportagen über Katastrophen in der DDR im Archiv zu finden“, berichtet Kaminski. „Feuer, Wasser, Krieg und andere Katastrophen“ lautete nämlich das Motto des 6. deutschlandweiten Tages der Archive, zu dem das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) in Babelsberg am Samstag seine Türen geöffnet hatte. Kaminski, der im Archiv eine postuniversitäre Ausbildung zum wissenschaftlichen Dokumentar macht, hatte zusammen mit Kollegen die Idee, historische Rundfunkaufnahmen in dieser Form zu präsentieren.
Die DDR-Medien berichteten oft nur verzögert und unvollständig über Katastrophen. Im Falle von Bruchstedt bot sich ein guter Anlass, die Leistungskraft der erst ein Jahr alten DDR in mehreren Reportagen propagandistisch auszuschlachten.
Auf einem Monitor im Foyer zeigten die Archivare unter anderem Berichte des DDR-Fernsehens vom Katastrophenwinter 1978/79, in dem das ganze Land durch Schnee und Frost lahm gelegt war. Erst am fünften Tag nach dem Temperatursturz in der Silvesternacht berichtete das DDR-Fernsehen über das Unwetter und seine Folgen. Die offizielle Zahl der Toten ist bis heute unbekannt. Nach Mobilisierung von 200 000 Katastrophenhelfern überboten sich die Medien dann mit Erfolgsmeldungen.
Ungewohnt schnell informierte das DDR-Fernsehen hingegen über den Absturz des Passagierflugzeugs TU 134 A der sowjetischen Aeroflot am 12. Dezember 1986 in Schönefeld, bei dem 72 Menschen starben. Bereits vier Tage nach dem Unglück wurde die Unglücksursache genannt: Verletzungen der Regeln des Landeanflugs durch den Flugzeugführer. Worin das Versagen des russischen Piloten bestand, blieb allerdings unerwähnt.
Babelsberg ist neben Frankfurt am Main einer der beiden Standorte des Deutschen Rundfunkarchivs. Die Einrichtung ist eine Stiftung der ARD, zu deren Finanzierung alle Rundfunkanstalten beitragen. Jährlich gebe es 25 000 Nutzungsanfragen, sagt die Babelsberger Standortleiterin Angelika Hörth. Hauptnutzer seien zu 60 Prozent die ARD und zu 20 Prozent private Interessenten. Dazu kommen Wissenschaftler sowie kulturelle und öffentliche Einrichtungen.
Der Gesamtbestand ist nahezu unüberschaubar. So sei das gesamte DDR-Fernsehen von der ersten Sendung 1952 bis zur Einstellung des Betriebs Ende 1991 vorhanden, ungefähr 100 000 Sendungen. „Teilweise sind in der DDR einige Magnetbänder aus ökonomischen Gründen gelöscht worden“, berichtet Bestandsverwalter Jörg Weber und erwähnt die Sendung „Der Schwarze Kanal“ von Karl-Eduard von Schnitzler. „Aber weil diese politischen Sendungen im Westen aufgezeichnet wurden, konnten wir den Bestand nach der Wende vervollständigen.“
Um die Archivalien nutzen zu können, müssen die alten Bänder und Filme nach allen Regeln der Kunst aufbereitet werden. Sylvia Haase lässt für die Besucher einen 16-Millimeter-Streifen der Kindersendung „Meister Nadelöhr“ über den Bildschirm flimmern. „Hier muss ich die Synchronisation anpassen“, sagt sie. Im Nachbarraum herrscht Jens Wangenheim über die Gerätschaften des Filmabtasters. Bei ihm erhalten selbst über 50 Jahre alte Filme einen neuen Schliff und werden in Kontrast und Farbsättigung verbessert. Das Ergebnis ist eine Kopie auf einer Beta-Kassette – für die professionelle Wiedergabe im Digitalzeitalter.
Günter Schenke
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